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Riven Rock

Riven Rock

Titel: Riven Rock Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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Schiffsladungen von »Schlicht-und-einfach-aus-dem-Grund« erklärt, daß Dr. Hoch am Morgen an den Folgen einer Aortenstenose verstorben sei – einer familiär vererbten Herzerkrankung. Doch Mr. McCormick brauche sich deshalb nicht zu kümmern, sagte Brush, weil Dr. Hoch ein alter Herr gewesen sei, der ein reiches, erfülltes Leben hinter sich gehabt und zahllose Beiträge im Bereich der Psychiatrie geleistet habe, darunter das Manuskript eines neuen Buches – Fälle von benignem Stupor –, das er gerade noch beenden konnte, bevor sein Herz den Dienst versagte.
    Mr. McCormick saß beim Frühstück, wo er zwei gebratene Eier und eine dicke rosa Schinkenscheibe penibel mit dem Suppenlöffel zu zerteilen versuchte, dem einzigen ihm verfügbaren Besteck. »Wie alt?« fragte er, ohne aufzublicken.
    »Hm? Was?« Seine Frage überraschte Brush.
    »Dr. Hoch«, sagte Mr. McCormick im leisen, behutsamen Tonfall des Rhetorikers, »wie-wie alt war der Herr?«
    Brush zog von irgendwoher einen Zigarrenstummel hervor und schob ihn sich in den Mund. »Hoch?« wiederholte er. »Ach, ich weiß nicht – in den Sechzigern jedenfalls.«
    »Einundfünfzig«, korrigierte Mr. McCormick ihn, immer noch ohne aufzusehen. »Und wissen Sie, wie alt ich bin, Dr. Brush?« Er wartete nicht auf die Antwort. »Im November werde ich fünfundvierzig. Bin ich auch ›ein alter Herr‹?«
    »Aber natürlich nicht, Mr. McCormick – Stanley«, dröhnte Brush, dessen wabbliges Fleisch in Bewegung geriet, als er auf seinen zu kleinen Füßen durch den Raum watschelte, »Sie sind doch noch ein junger Mann, ein Ausbund an Kraft und Gesundheit, schlicht und einfach aus dem...«
    Mr. McCormick hatte gewartet, bis das Frühstücksgeschirr abgeräumt war und er sich angezogen und den Weg zum Theatergebäude hinter sich hatte, ehe er seinen Gefühlen zu diesem Thema freien Lauf ließ. Mit ohrenbetäubendem Röhren, das das hypnotische Ticken von Roscoes Projektor erstickte und die Possen von Charlie Chaplin und Marie Dressler zunichte machte, verkündete er: »Ich will nicht sterben!«
    Brush rief prompt aus der Dunkelheit: »Sie werden nicht sterben, Mr. McCormick.«
    »Doch!«
    Bewegung kam in den Saal, als O’Kane und Mart in Position gingen und Brush sich im Flackern der Schatten wie ein Gebirge von seinem Klappstuhl erhob. Auf der Leinwand hüpfte Charlie Chaplin herum und trat einen Polizisten in den Hintern, und O’Kane mußte unwillkürlich lachen. »Aber, aber«, sagte Brush, der über der hingefläzten Gestalt ihres Arbeitgebers aufragte, »Sie sind ein gesunder Mann, Mr. McCormick, kräftig und in Hochform, und das wissen Sie auch. Und Sie haben hier die besten Bedingungen, die denkbar bekömmlichste Umgebung...«
    Mr. McCormicks Stimme war dünn und angespannt wie ein Drahtseil. »Er ist ein stinkender, verwesender Leichnam mit – mit diesen Dingern, die ihm zu den Augen rauskommen, weil – weil das nämlich das erste ist, was sie fressen, die Augen, und Sie wissen das genau!«
    »Davon weiß ich überhaupt nichts, und zwar schlicht und einfach aus dem Grund, daß eine solche Vorstellung mir zu morbide wäre.« Brush fuchtelte mit den Armen im flackernden Licht, und die untere Hälfte von Chaplins Gesicht zuckte hektisch auf seiner Schulter wie in einer gespenstischen Erscheinung. »Denken Sie sich, er wäre im Himmel, in den Armen Gottes...«
    »Gott ist ein Schwindler«, fauchte Mr. McCormick und warf wütend den Kopf herum. »Und Sie genauso.«
    Und dann folgte die unvermeidliche Schlägerei, zerbrechende Stühle, Flüche, Geschrei und Gejammer, das Tasten nach dem Lichtschalter und schließlich Dr. Brush, der wieder einmal sein überzeugendes, rettendes Körpergewicht der rücklings liegenden Gestalt ihres Arbeitgebers und Wohltäters auf intimste Weise präsentierte.
    Begreiflicherweise wollte O’Kane das Thema deshalb jetzt nicht weiter forcieren – er fühlte sich restlos ausgebrannt nach dem Wettlauf rund um das Grundstück und den verdammten Hügel hoch, das war für diesen Tag genug körperliche Betätigung gewesen, vielen Dank. »Na ja, wenigstens haben wir Dr. Brush wieder«, sagte er etwas lahm. »Und der ist ja ganz in Ordnung.«
    Mr. McCormick schien dazu keine Meinung zu haben. Er starrte weiter in den Himmel, als könnte er irgendwo dort oben Dr. Hoch auf einer Wolke sitzen sehen. Und Mart – Mart war auch keine Hilfe. Seine Arme hingen schlaff von der Bank herunter, und sein Atem wurde immer langsamer, bis er zu schnarchen

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