Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Riven Rock

Riven Rock

Titel: Riven Rock Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
Vom Netzwerk:
Mr. McCormicks gegenwärtige Verschlechterung auf eine Serie traumatischer Vorfälle im Laufe der letzten Jahre zurückführen, von denen der erste und einschneidendste der Verlust seiner Mutter gewesen war. Das war 1922 oder 1923 gewesen, dicht gefolgt von der Scheidung und der erneuten Heirat seines Bruders Harold und dem Trubel, den die Zeitungen deswegen veranstalteten, was für Mr. McCormick eine große Schmach und eine Schande für die ganze Familie und auch die Harvester Company darstellte. Dann kam die Nachricht, daß Dr. Brush seine Gattin schließlich doch einweisen lassen mußte, weil sie nackt durch die Straßen stolziert war und Mülleimer in Brand gesteckt hatte; dies schien Mr. McCormick in verschiedenerlei Hinsicht zu beunruhigen, von schierem Entsetzen bei der Vorstellung aggressiver weiblicher Nacktheit bis zur traurigen Einschätzung und Neubewertung der eigenen Aussichten auf Heilung und Entlassung in die Welt der Männer und Frauen. Und dann, gerade als es so aussah, als ginge es langsam wieder bergauf mit ihm – er riß kleine Witzchen, aß brav und ruhig seine Mahlzeiten –, kam das Erdbeben, das halb Santa Barbara einstürzen ließ und Riven Rock derartig durchrüttelte, daß sämtliche Fensterscheiben barsten, der Konzertflügel in der Mitte des Musikzimmers umkippte und von der Garage nur noch ein chaotischer Steinhaufen blieb, der ein Dutzend Autos platt wie Sardinendosen unter sich begrub. Auch ein normaler Mensch hätte Schwierigkeiten gehabt, daraufhin noch frohgemut und zuversichtlich zu bleiben, aber für jemanden in Mr. McCormicks Geistesverfassung hieß es eine Verdopplung der ohnehin schweren Last.
    Als die alte Lady starb, machte sich O’Kane auf einen größeren Ausbruch gefaßt, zumindest so schlimm wie damals bei Dr. Hoch mit der wilden Buddelei im Garten, aber eines war Mr. McCormicks Verhalten wirklich: unvorhersagbar. Er zeigte kaum Reaktion, und offiziell, nach den Aufzeichnungen von Dr. Brush, sagte er gerade sechs Worte dazu. Er legte gerade eine Patience, als O’Kane ihm die Nachricht überbrachte. (Brush hatte gefunden, so sei es am besten, schlicht und einfach aus dem Grund, daß Mr. McCormick sich mit seinem Oberpfleger am besten verstand, der ihn immerhin viel länger kenne als er, und die Neuigkeit würde zweifellos traumatisch wirken, schlicht und einfach aus dem Grund, daß Mr. McCormick so pathologisch stark an seiner Mutter hing, obwohl er sie seit 1907 gar nicht mehr gesehen hatte, und die Wahrscheinlichkeit sei groß, daß er seinem Kummer auf explosive Art Luft machen und sich über den Überbringer dieser Nachricht ärgern würde, was aus begreiflichen Gründen möglichst nicht sein behandelnder Psychiater sein sollte, schlicht und einfach aus dem Grund, daß die Gefahr einer negativen Übertragung bestehe.
    »Mr. McCormick, ich habe leider sehr schlechte Nachrichten für Sie«, hatte O’Kane verkündet, während Brush sie aus seinem Versteck hinter einer Schranktür auf dem Treppenabsatz beobachtete und Mart die Szene so gelassen verfolgte, als diskutierte man eine Abänderung des Speiseplans.
    Mr. McCormick blickte fragend von seinem Kartenspiel auf. »Sch-schlechte N-Nachrichten?« echote er wiehernd.
    O’Kane stählte sich. »Ich will gleich zur Sache kommen: Ihre Mutter ist gestorben. Gestern abend. Ganz friedlich. Im Schlaf.« Er hielt inne. »Sie war achtundachtzig.«
    Lange Zeit saß Mr. McCormick einfach nur still da, sah ihn mit neutralem Gesichtsausdruck an, die letzte Patiencekarte noch in der Hand. Er räusperte sich, als wollte er etwas sagen, dann wandte er sich wieder dem Tisch vor sich zu und legte die Karte ordentlich an eine der vier Reihen an. Nach einer Weile hob er wieder den Blick und machte dabei eine listige, ja verschmitzte Miene, so als wäre ihm gerade ein amüsanter Streich gelungen. »Aufs Begräbnis geh ich aber nicht«, sagte er.
    Äußerlich merkte man ihm nichts an, aber man spürte, daß er trauerte, so wie damals um Dr. Hoch, und O’Kane wartete die ganze Zeit auf irgendeine manische Krise, vor allem als die Nachricht von Mr. Harold McCormicks Scheidung bekannt wurde. O’Kane erfuhr davon, als er eines Morgens zur Arbeit erschien und Mr. McCormick über nichts anderes sprechen konnte als über das Thema Scheidung: über Scheidung in all ihren juristischen, historischen und ethnologischen Verästelungen – wie Soundso sich nach dreißig Jahren von seiner Frau getrennt hatte, wie es König Heinrich VIII . mit der Ehe

Weitere Kostenlose Bücher