Riven Rock
während nick und pat im dunkeln geatmet hatten o ja er hatte sie gehört und gespürt aber nie mehr und nie wieder niemals wieder mach mir ein baby stanley mach mir ein baby...
Katherine konnte nicht wissen, was ihr Mann dachte – sie wußte nie, was er dachte, auch wenn er auf dem Teppich saß, den sie mit an den Strand genommen hatten, und mit Muriel über den Malemute Kid sprach oder pingelig an den Rändern eines Sandwiches mit geräuchertem Lachs knabberte, das Giovannella in aller Frühe zubereitet hatte. Sie wußte nur eines: er hatte sich so gut entwickelt, war einen weiten Weg gegangen und wieder zu dem geworden, der er war, ihr Stanley, Stanley mit dem zurückhaltenden Wesen und den leuchtenden Augen, doch jetzt war er ihr wieder entrissen worden – und sie wollte verdammt sein, wenn sie sich noch einmal von seinem Leben abschneiden ließ. Deshalb beauftragte sie Newton Baker, ihren alten Bekannten und Kollegen aus Kriegszeiten und dem Frauenausschuß für Landesverteidigung, in ihrem Namen beim Gericht von Santa Barbara den Antrag auf die alleinige Vormundschaft über ihren Mann zu stellen:
IN DER ANGELEGENHEIT DER VORMUNDSCHAFT ÜBER DIE PERSON DES STANLEY MCCORMICK, UNZURECHNUNGSFÄHIG:
NO. 7146
ANTRAG AUF STREICHUNG EINZELNER VORMUNDSCHAFTSBERECHTIGTER
AN DEN EHRENWERTEN VORSITZENDEN DES GERICHTSHOFES FÜR DEN STAAT KALIFORNIEN IM BEZIRK SANTA BARBARA:
DIE ANTRAGSTELLERIN, KATHERINE DEXTER MCCORMICK , TRÄGT BEI ALLEM RESPEKT FOLGENDES VOR:
Daß Kempf sie im Auftrag von Cyrus und Anita der Zuneigung ihres Ehemannes entfremdete und ihm die endokrinologische Behandlung verweigerte, die ihm möglicherweise Heilung bringen konnte, und daß sie als Stanleys Frau besser wußte als seine Geschwister, was gut und richtig für ihn war, und daß sie ohne deren Einmischung auch leichter für ihn sorgen konnte. Daß es den Geschwistern lediglich darum ging, das Vermögen der McCormicks zusammenzuhalten. Daß sie, Katherine, während all dieser unsicheren, ungewissen Jahre den Besitz ihres Mannes verwaltet hatte, und zwar gegen das automatische Zwei-zu-Eins-Stimmverhältnis in jeder wirklich wichtigen Frage, wie zum Beispiel der Ausgabe von zehntausend Dollar pro Monat für einenNervenarzt, der daran glaubte, daß die Psychoanalyse faule Zähne heilen konnte, und daher wollte sie eine Änderung dieses Zustandes, und zwar jetzt.
Jane stärkte ihr den Rücken. Und ihre Mutter auch. Und obwohl sie den Presserummel haßte und bereits mit Schrecken daran dachte, wie die Zeitungen die Sache aufblasen würden, konnte sie es doch kaum erwarten, vor Gericht aufzustehen und allen einmal so richtig die Meinung zu sagen. Und warum? Um Stanleys willen natürlich. Nur um Stanley ging es ihr – und um ihre Schuldgefühle, weil sie ihn so viele Jahre lang vernachlässigt hatte, denn bei aller Loyalität hatte sie ihn ja wirklich vernachlässigt und es zugelassen, daß die Favills und Bentleys und Hamiltons dieser Welt und nun auch Anita und Cyrus sie bedrängt und alles verschleppt hatten. Aber sie würde nicht aufgeben. Diesmal nicht. Denn nur sie allein wußte, wie schmerzhaft und entsetzlich es gewesen war, Stanley zu verlieren, schon damals beim erstenmal, ihn strampeln und sich wehren und schließlich untergehen sehen zu müssen, und niemand hatte ihm eine Rettungsleine zugeworfen, niemand außer ihr...
Zugespitzt hatte sich die Krise nach ihrer Rückkehr aus Maine, nach jenem fortwährenden, ungemilderten Alptraum der Waldhütte in Maine, im Herbst 1905. Alles, was sie versucht hatte – Geduld und Verständnis, Strenge, Vernunft, Liebe –, war gescheitert, das war ihr klar, und Stanley war in einer abwärtsgerichteten Spirale gefangen, die auch sie in die Tiefe zu reißen drohte. »Sexual-hypochondrische Neurasthenie und inzipiente Dementia praecox« lautete Dr. Trudeaus eisige Diagnose, und als einziger Ausweg blieb ihr nur der Versuch, Stanley von allem abzuschotten, was ihm ungebührliche Unruhe verursachen könnte – von seiner Mutter vor allem, aber auch von der Mähmaschinenfirma und, leider, leider, von ehelichen Beziehungen. Sie hatte ihn zu weit gedrängt, war zu rasch vorgegangen, und nun mußte sie ein Stück zurück, ihn beschwichtigen und von neuem hegen und pflegen.
Am Tag ihrer Rückkehr nach Boston – dem 21. November – fuhren sie zum Hafen, um ihre Mutter abzuholen, die von einem längeren Aufenthalt in Prangins zurückkam. Es war ein trüber, kalter Tag, die Luft roch nach Regen, und der
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