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Riven Rock

Riven Rock

Titel: Riven Rock Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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Josephine Schwarz, ihre bevorzugte Farbe, seitdem sie vor achtzehn Jahren die Witwenschaft ereilt hatte, und wenn Katherine auch kein Problem damit hatte, daß ihre Mutter etwas Farbe in ihren Aufputz bringen wollte, so war dies nicht der richtige Zeitpunkt dafür. Und auch nicht der richtige Ort. Wer wußte schon, wie Stanley sein würde – oder wie er auf einen solchen Hut reagierte? Unwillkürlich erinnerte sich Katherine an den Tag in der dritten Woche ihrer Flitterwochen, als er einen Wutanfall bekommen und siebzehn Lieblingshüte ihrer Mutter demoliert hatte, die Hälfte davon in Paris gekauft.
    Aber sie war mit ihrer eigenen Ausstattung, die sie bereits ein dutzendmal verändert hatte, zu sehr beschäftigt, um sich um jene ihrer Mutter zu kümmern. Letztendlich hatte sie, obwohl es etwas zu warm dafür war, ein taubengraues Kostüm aus venezianischer Wolle gewählt, über einer reinweißen Seidenbluse mit hochgeschlossenem Kragen. Sie wollte angesichts von Stanleys Erregbarkeit nichts Aufreizendes tragen, andererseits bestand auch kein Grund, sich wie eine Matrone anzuziehen, und so hatte sie den Großteil des Nachmittags damit verbracht, auf dem Teppichläufer zwischen Spiegel und Kleiderschrank hin und her zu gehen, diese oder jene Kombination anzuprobieren und ihre Mutter und Louisa so lange um Rat zu fragen, bis sie zufrieden war. Stanley hatte sie immer gern in Grau gemocht, wenigstens glaubte sie sich zu entsinnen, daß er das einmal gesagt hatte, und sie hoffte, er könnte etwas darin wiederfinden, einen Funken der Erinnerung, der ihn zurück in die Welt bringen würde.
    Vor dem Fenster raschelten die Palmen aufdringlich in einem jähen Windstoß vom Ozean her, und der störende Vogel, zu welcher Art er auch gehören mochte, entdeckte nun eine neue schauderhafte Tonhöhe für seinen Todesschrei – krah, krah, krah –, und als ihre Mutter zum hundertstenmal mit ihrem lächerlichen Hut durchs Zimmer stampfte, wollte Katherine am liebsten loskreischen. Sie war ein Nervenbündel, und wer wäre das nicht? Nach dem Kampf gegen die McCormicks und ihre Bluthunde, der rund fünftausend Kilometer langen Reise über ein ruckendes Schienenpaar nach dem anderen, bis jeder Muskel ihres Körpers sich anfühlte wie mit einer Knute geschlagen, und nachdem ihr ganzes Leben ins Chaos gestürzt worden war von Stanleys rasenden Zornesausbrüchen und der Katatonie, die ihn in eine lebende Statue verwandelt hatte. Sie hatte ihn seit über sechs Monaten nicht mehr gesehen, und sie war so zaghaft und erwartungsvoll wie in ihrer Hochzeitsnacht.
    Sie war immer noch vor dem Spiegel beschäftigt – das Haar saß nicht richtig, und beim Hut war sie sich auch unsicher –, als die Rezeption zum zweitenmal anrief, um sie daran zu erinnern, daß der Fahrer unten wartete. »Komm doch, meine Liebe«, drängte Josephine und füllte auf einmal den Spiegel hinter ihr aus, »wir sollten den armen Stanley nicht warten lassen – das heißt, wenn wir ihn diesmal überhaupt zu sehen kriegen.« Gereizt erhob sich Katherine vom Hocker, raffte ihren Umhang, die Handtasche, die Pralinen und die Zeitschriften zusammen, die sie Stanley mitbringen wollte, während dicht neben ihr ihre Mutter zu einem längeren Monolog über das Thema Enttäuschung und falsche kleine Alarme in Waverley anhob, und sie könne einfach nicht mitansehen, wie trübsinnig ihre Tochter sei und daß sie immer so verzweifelt wirke, aber sie sollten sich auch nicht allzuviel Hoffnung machen, denn niemand könne wissen, wie sich der arme Stanley an seine neue Umgebung gewöhnt habe, wenn man bei ihm überhaupt von Gewöhnung sprechen dürfe.
    Der arme Stanley. So hatte ihre Mutter ihn immer genannt, auch schon vor seinem Zusammenbruch, als er so gutaussehend, gesund und redegewandt gewesen war wie jeder andere Mann, der je die Schwelle ihres hohen, schmalen Stadthauses in der Commonwealth Avenue überschritten hatte – so als könnte sie den zerbrechlichen Kern in seinem Innern gewahren wie ein Rutengänger eine Wasserader in den Gebeinen der Erde. »Ich weiß es nicht, Mutter«, sagte Katherine und drehte sich zu ihr um, als das Dienstmädchen ihnen die Tür aufhielt, »ich weiß es wirklich nicht. Aber Dr. Hamilton hat in seinem letzten Brief versprochen... nun ja, versprochen hat er eigentlich nichts, aber er war sehr optimistisch, daß der Ortswechsel Stanley gutgetan habe, gar nicht zu reden davon, daß er nun endlich in einem zuträglichen Klima lebt, und ich sehe gar

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