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Riven Rock

Riven Rock

Titel: Riven Rock Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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diese Leute, sie würden als einzige die ganze Nacht hindurch auf und ab gehen, so aufgedreht, daß sie nicht einmal eine Scheibe Toast im Magen behalten konnten? Sie war schließlich bei ihm gewesen, als er zusammenbrach. Sie hatte gesehen, wie seine Augen in den Kopf zurückwichen, wie er die Wände und die Möbel und alle dämlichen Gegenstände malträtierte, die ihm in den Weg kamen. Sie war es gewesen, die seinen Rasereien zuhören und die Tür ihres Schlafzimmers verriegeln und sich im Wäscheschrank verstecken mußte, bis sie zu ersticken glaubte, und sie hatte sich aus dem Haus flüchten müssen, als stünde es in Flammen. Wo waren die McCormicks damals gewesen?
    Als sie im Hotelbadezimmer stand und zuhörte, wie das Wasser in die große emaillierte Wanne prasselte, während die hirnlose Sonne gegen die Fenster drückte und irgendein in den Palmen versteckter, fremder Vogel krächzte, als wäre er halbtot und hoffte, irgendwer möge kommen und ihm den Rest geben, da hätte sie am liebsten von neuem geweint. Sie hatte sich noch nie im Leben so mies und elend gefühlt, nicht einmal als man ihr den Zugang zum Massachusetts Institute of Technology verweigerte und sie vier Jahre lang auf dem Bauch kriechen ließ, durch eine naturwissenschaftliche Grundausbildung hindurch, die jeder Junge ganz selbstverständlich in der High-School erwarb. Es war nicht recht. Es war nicht fair. Es war nicht einmal anständig. Favill verstand sie – der war wenigstens ein richtiger Mann, mit langen Knochen und breiten Schultern, dem Blut eines Ottawa-Häuptlings in den Adern und der Macht, seine Gegner in einem ehrlichen Kampf zu bezwingen, aber Bentley, Bentley war ein Wurm, ein kriechendes, rückgratloses Wesen, das sich nur im Gedärm von etwas Größerem oder jedenfalls Stärkerem ernähren konnte. Vor beiden hatte sie keinerlei Respekt, aber vor Bentley noch weniger, falls das möglich war. Der war ja nicht einmal ein Mann.
    Sie betrachtete ihr Spiegelbild, starrte sich in die Augen, bis dieser Moment vorüberging. Es war ein Trick, den sie als Mädchen gelernt hatte, ein Weg, ihre ganze Wut zu konzentrieren, wenn jemand sie niedermachen wollte, und irgendwer wollte sie immer niedermachen – Jungen, Männer, schmeichlerische Anwälte, blasierte Beamte und heuchlerische Lehrer. Sie erinnerte sich an den Schachclub, den sie in ihrer Schule in Chicago organisiert hatte, bevor ihr Vater starb und die Familie nach Boston zog. Es war eine gute Schule gewesen, die beste in der ganzen Stadt, wo man sich um die Kinder der wohlhabenden Schichten sorgte und keine Ausgaben für Lehrer, Bücher und andere Annehmlichkeiten scheute, aber in Katherines Augen war das Beste daran, daß die Geschlechter nicht getrennt wurden. Jungen und Mädchen saßen in den Klassen Seite an Seite und bekamen denselben Zugang zu allem, was man in dieser Welt wußte und dachte, und sie wurden ermuntert, als gleichberechtigte Partner zu handeln. Und als Katherine ihren Schachclub gründete, war ihr Lehrer, Mr. Gregson, ein unglaublich alter junger Mann mit einem dünnen Spitzbart und dem abwesenden Blick eines Hochseiltänzers, durchaus dafür. Anfangs jedenfalls. Bald aber spielte sie die übrigen Mädchen, die ohnehin nur begrenzt an Schach interessiert waren, an die Wand und trat gegen Jungen an. Diese wiederum spielten so, als wäre dieses Kriegsspiel tatsächlich eine Art Krieg, und obwohl die Königin die wahre Macht hinter dem Thron war und der König nur ein ärmlicher Ein-Feld-pro-Zug-Krüppel, kaum beweglicher als ein Bauer, war er das Zentrum des Spiels, und alle wußten es. Der Club bestand zweieinhalb Wochen lang, und Katherine nahm es mit jedem Gegner auf; bisweilen standen fünf bis sechs Jungen Schlange, um als erste ihrer Studentenverbindung dieses Mädchen zu schlagen. Dann aber entdeckte Mr. Gregson plötzlich in den Tiefen der Schulordnung eine obskure Vorschrift, die Brettspiele untersagte, und der Club wurde aufgelöst.
    Dampf wallte auf. Das Wasser rauschte und prasselte. Sie spürte die Kühle der Kacheln unter ihren Füßen und den sanften Hauch des Dampfes auf der Haut, und das besänftigte sie. Sie beugte sich über das Waschbecken und schüttelte ihr Haar. Lose und offen war es eine wahre Haarlawine, ungezähmt, das Haar einer Wilden, einer Amazone, und sie warf den Kopf zurück und fuhr mit gespreizten Fingern hindurch, so daß es noch wilder wurde. Mit der Handfläche wischte sie über den Spiegel und trat etwas zurück, um sich

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