Riven Rock
Festung seines mißhandelten Fleisches und festgefahrenen Verstandes. Still saß sie da und kämpfte den Druck tief in der Kehle und das Rinnen in ihren Stirnhöhlen nieder. Sie hätten sich nicht getraut, so mit ihr zu reden, wenn ihre Mutter hier gewesen wäre. Oder ihr Vater. Aber ihre Mutter badete ihre alten Knochen in einer Zinkwanne mit heißem Mineralwasser, irgendwo in den Hügeln inmitten eines staubigen Eukalyptushains, und ihr Vater war seit achtzehn Jahren tot, noch so eine Enttäuschung.
Na gut, beschloß sie, wenn sie es so haben wollten, dann sollte es eben so sein. Sie stand auf. Erhob sich so rasch, daß Favill aus seinem Sessel aufspringen mußte wie ein Gummiball, um zu verhindern, daß er als einziger saß. Bentley blickte zutiefst gequält drein – möglicherweise litt er aber auch nur an Verstopfung. »Haben Sie sich...?« begann er und wechselte einen Blick mit Favill. »Oder brauchen Sie vielleicht ein wenig Zeit, um unseren Vorschlag zu überdenken? Wir sind natürlich gerne bereit, also ich meine, wir, ich...«
Immer noch sprach sie nicht. Sie stand einfach nur da, mit pochendem Herzen, den Hut auf den Kopf gesteckt wie einen Kriegsschmuck, und beschämte sie durch ihr Starren. »Ich erspare es mir, Ihnen den Weg zur Tür zu zeigen«, sagte sie schließlich und konnte ihren scharfen Tonfall nicht unterdrücken. »Und Sie richten den McCormicks aus, daß ich für keinen Preis auf der Welt, in Geld oder in Blut, für keine noch so fürstliche Belohnung nachgeben werde, nicht ein Jota. Ich werde noch mit Stanley verheiratet sein, wenn Sie alle im Grab liegen, und er wird wieder gesund werden, das sage ich Ihnen, haben Sie verstanden?«
Die nächste Enttäuschung war Hamilton. Zwar scharwenzelte er ständig um sie herum mit seinem Geflüster, dem glattzüngigen Gerede und den hüpfenden Pupillen, immer bemüht, sie nicht irgendwie zu verärgern, verlegen hinter ihr her schlurfend und knapp davor, den Boden zu küssen, auf dem sie ging, aber in der einen wirklich wichtigen Frage hatte er sich noch nicht erweichen lassen: ihr den Zutritt zu ihrem Mann zu gestatten. Wenn sie Stanley einmal sehen dürfte, nur für eine Stunde, konnte sie ihm helfen, sich wieder zu fangen, das wußte sie. Allein ihr Anblick würde ihn aufmuntern, ganz bestimmt – es war ja durchaus möglich, daß er glaubte, sie hätte ihn verlassen. Selbst wenn seine Reaktion auf sie, nun ja, problematisch sein sollte, wüßte er immerhin, daß sie noch da war und daß sich außer seinen quadratschädligen Pflegern noch jemand um ihn kümmerte. Stanley war nun seit etwas über einem Monat in Riven Rock – und sie hatte Hamilton diesen Monat zugestanden, bereitwillig, obwohl sie nachts vor Sorge kaum schlafen konnte, sich wie ein lebender Leichnam durch die Korridore des Hauses ihrer Mutter in der Commonwealth Avenue schleppte und seit Ewigkeiten nicht mehr im Theater, im Konzert oder auch nur im Restaurant gewesen war –, aber jetzt wollte sie ihre Rechte und Befugnisse als Ehefrau ausüben, im übrigen zufällig auch als Brötchengeberin, die die Rechnungen des guten Doktors abzeichnete und seine Affenkolonie finanzierte. Sie hatte lange genug gewartet, hatte sich geduldig ein ganzes Register von Ausreden samt Anhang angehört. Jetzt war die Zeit gekommen. Heute abend – dazu war sie entschlossen – würde sie Stanley sehen.
Zuerst aber, während die Sonne herabsank, um das Meer zu verfärben und sich über die fahlen Mauern und die exotischen Bäume zu ergießen, bis alles erglühte und in einem dicken, öligen Licht zu triefen schien, zog sich Katherine zurück, um ein Bad zu nehmen und sich von Bentley, Favill und dem ihnen anhaftenden Schatten der McCormicks zu reinigen. Sie wußte, daß sie sie ablehnten, besonders ihre Schwiegermutter, eine so erdrückende, egoistische Frau, wie man sie selten traf, aber es war erschreckend zu bemerken, wie sehr sie sie verabscheuen mußten, um gleich die Hunde loszulassen und sie ohne Nachdenken auf sie zu hetzen – an ihrem ersten Tag in Santa Barbara. Es schmerzte. Ganz abgesehen von ihrem Kopfweh, ihrer Erkältung und allem anderen. Sie verlangte ja keine Anerkennung – die McCormicks und ihr jämmerlicher kleiner Kreis bedeuteten ihr nicht das geringste – oder so etwas wie Herzlichkeit, aber gute Manieren erwartete sie sehr wohl. Was glaubten die denn, wer sie war, eine flüchtige Laune von Stanley? Nur eine weitere Eroberung – oder Erwerbung? – der McCormicks? Dachten
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