Riven Rock
hinter dem Haus zusammenpferchten. Mart wohnte im Nebenzimmer, aber Nick und Pat hatten sich Wohnungen im Ort gesucht, als ihre Familien eingetroffen waren – und Rosaleen hätte eigentlich auch mitkommen sollen, vor zwei Wochen war das, aber O’Kane hatte abgewinkt. Begründet hatte er es damit, daß er noch keine anständige Wohnung für sie und das Baby habe, und das stimmte ja auch – er hatte tatsächlich nichts gefunden. Allerdings war er seit seiner Ankunft genau viermal in Montecito gewesen, und wenn er dort gewesen war – am Abend, zusammen mit Mart und Roscoe LaSource, dem Chauffeur –, dann hatte er nicht nach einer Wohnung gesucht.
Er hatte ein schlechtes Gewissen deshalb, sein Sohn fehlte ihm – und Rosaleen auch, vielleicht sogar seine Eltern und Onkel Billy und seine Schwestern mit dazu –, aber er wollte Kalifornien auf eigene Faust erleben, wollte diesem unirdischen Land, in dem Eidechsen über die Felsen huschten, die Blumen so groß wie Bäume waren und der Ozean sich bis zum fernen China erstreckte, alles entlocken. Es war genau, wie er es sich ausgemalt hatte, nur viel üppiger und komplexer, so als wäre seine Vorstellung von Kalifornien gerade die erste Seite einer riesigen Enzyklopädie von Vorstellungen gewesen. Hier gab es sechs Meter hohe Farne und Bäume, die statt dem Laub ihre Rinde abwarfen, Palmen so dünn wie Laternenmasten und Blumen, überall Blumen – die ganze Welt bestand hier aus Blumen. Es war trockener, als er geglaubt hatte – während der gesamten Zeit, die er hier war, hatte es nicht einen Tropfen geregnet, wenn man einmal von dem Tau absah, der sich nachts über alles legte und jeden Morgen in einen verblassenden Traum verwandelte –, und er hätte nie gedacht, daß Riven Rock und all die anderen großen Landsitze so fern von der Stadt waren, über acht Kilometer weit weg. Vielleicht sollte er sich ein Fahrrad zulegen – oder Flügel wachsen lassen. Himmel, jedenfalls rühlte er sich fast so eingesperrt wie der arme Mr. McCormick, denn das vermißte er am meisten: Saloons, Geschäfte, Gehsteige, Straßenlaternen, Zivilisation.
Er hatte noch nie auf dem Land gelebt, war nie von Hähnen und Kühen geweckt worden, und er hatte nie soviel Zeit mit Ausländern verbracht – also mit Italienern. Sie waren überall, schlurften in ihren ausgebeulten Hosen und schweißfleckigen Hemden über die Schotterwege, hauten Steine zurecht, schnitten Hecken, hackten Unkraut in den Obstgärten, jeder Kuh und jeder Ziege der Gegend klatschten sie sechsmal am Tag aufs Hinterteil, sie walkten die Wäsche in großen Wannen draußen im Hof, oder sie schlichen mit Schrubbern und Besen und einer Miene schmieriger Ergebenheit durchs Haus. Aber sie waren ganz in Ordnung, die Italiener. Die meisten sprachen Englisch, zumindest eine Variante davon, die er und Mart entwirren konnten, und abends saß er meist mit Sal und Baldy und ein paar von den anderen im Orangenhain, wo sie einen Krug Rotwein oder eine Flasche von diesem flüssigen Feuer herumgehen ließen, das sie Grappa nannten. Und ihre Frauen waren gar nicht übel, vor allem die jungen. Eher der ländliche Typ, nicht so wie Miss Ianucci zum Beispiel, aber eine oder zwei von ihnen waren ihm angenehm aufgefallen.
Und die Orangen. Die hingen hier einfach an den Bäumen, nicht anders als im Osten die Äpfel und Birnen, und es verging kein Tag, ohne daß er morgens nach dem Aufstehen in der würzigen Luft herumspazierte und sich zwei oder gar drei davon pflückte; dann schälte er sie im Gehen, die Sonne schien ihm ins Gesicht, die Kolibris hingen über den Blüten wie in der Luft schwebendes Buntpapier, und die Berge, die vor ihm aufragten, waren in Dunst gehüllt wie auf einem Ölgemälde.
Trotzdem mußte er an Rosaleen denken, als er sich jetzt aus dem Bett hievte, etwas Wasser ins Gesicht klatschte, das Haar nach hinten kämmte, seinen Unterkiefer im Spiegel musterte und dabei überlegte, ob er sich das Rasieren sparen konnte. Vielleicht sollte er sie doch nachkommen lassen – die McCormicks zahlten die Reise. Er könnte eine Wohnung im Ort finden, in einer dieser Straßen bei der alten Mission mit schönen schattigen Bäumen, und er wäre in der Nähe der Saloons und Grill-Imbisse und der chinesischen Wäscherei, er würde es jeden Abend besorgt kriegen und müßte sich auch nicht mehr von diesen verdammten Hühnern wecken lassen und sich so einsam und ausgelutscht fühlen. Darüber sann er nach, als er vor dem Spiegel stand, sich
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