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Riven Rock

Riven Rock

Titel: Riven Rock Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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hatte seinen Teller immer noch nicht abgestellt – die Buttermilch hielt er auch noch in der Hand. Er kam sich langsam wie ein Kellner vor. Außerdem hatte er Hunger, aber diese Sache bedurfte der Klärung – zumindest einer gründlichen Debatte.
    »Und ich sag dir noch was«, fuhr Nick fort, zog eine fertig gedrehte Zigarette aus der Hemdtasche und klemmte sie sich zwischen die Lippen, »das da« – er tippte auf den Zeitungsartikel – »eröffnet deiner Mrs. Katherine McCormick wirklich alle Möglichkeiten.«
    »Wie meinst du das?«
    Das Aufflammen des Zündholzes, ein Hauch von Schwefel. »Kapierst du nicht? Er ist entmüdigt, sie hat sein Testament in der Hand, das sie ihn noch am Tag ihrer Hochzeit hat unterschreiben lassen – in dem er alles ihr hinterläßt, ja? –, und jetzt kann sie im ganzen Land spazierenfahren und sich nach Belieben in der feinen Gesellschaft bewegen, und wenn sie mal wer fragt: ›Wo ist denn Ihr Mann?‹, dann drückt sie sich ein Tränchen ab und sagt: ›Mein armer Mann ist in Riven Rock eingesperrt mit seinen Pflegern – leider hat er ne Schraube locker.«
    Pat lachte wieder auf. Er war jetzt hellwach und lehnte sich in seinem Sessel nach vorn, die Ellenbogen auf die Bollwerke seiner Oberschenkel gestützt. »Aha, du meinst also, sie trifft sich mit anderen Männern? Heimlich, meine ich.«
    »Nennen wir die Dinge doch beim Namen, Patrick.« Nick stieß den Rauch durch die Nasenlöcher aus, ein bläulicher Dunst, der sich in seinem Schoß sammelte und, von dort abgelenkt, wieder aufstieg, um seine ungeschlachten Züge und die mächtige, glänzende Kuppel seiner Stirn zu umspielen. »Du meinst doch, ob sie herumhurt, stimmt’s?«
    »Es ist nicht recht, so über sie zu reden, und das weißt du ganz genau«, hörte sich O’Kane sagen, und er bereute es auf der Stelle. Warum mußte er sie schon wieder verteidigen?
    »Nicht recht?« echote Nick. »Wieso denn nicht? Glaubst du etwa, nur weil sie die Frau eines Millionärs ist, sollte sie was Besseres sein? Glaubst du etwa, ihr juckt’s nicht zwischen den Beinen wie jeder anderen Braut?«
    Es war eine anregende Vorstellung, die Eisprinzessin als läufige Hündin, doch O’Kane hatte keine Gelegenheit, sie weiterzuverfolgen. Denn genau in diesem Moment nahm er eine Bewegung in dem Zimmer hinter Pat wahr, und als er aufsah, stand Mr. McCormick in der Tür.
    Im ersten Moment rührte sich keiner, und es war wie die letzte Szene eines Theaterstücks, kurz bevor die Lichter erlöschen. Ein langer Augenblick verging, die kleinsten Geräusche des Hauses verschärften sich, bis jedes Quietschen und Rascheln zum Schrei wurde. Und dann ging O’Kane, ganz langsam und zielstrebig, zur Anrichte, stellte den Teller ab und sein Glas daneben, um die Hände frei zu haben – für alle Fälle. »Mr. McCormick!« rief er voll Freude und Überraschung aus, so als begrüße er einen alten Bekannten auf der Straße, und wechselte einen kurzen Blick mit Pat, achtete aber darauf, plötzliche Bewegungen zu unterlassen. »Schönen guten Abend! Wie fühlen Sie sich?«
    Nick hatte die Zeitung gefaltet, und obwohl er sitzen blieb, sah man, daß er sprungbereit war; Pat, der nur Zentimeter von Mr. McCormick entfernt praktisch ohnmächtig in seinem Sessel festsaß, sah sich verunsichert um. Zum erstenmal seit über zwei Wochen war Mr. McCormick von seinem Bett aufgestanden, ja es war überhaupt das allererste Mal seit Menschengedenken, daß er sich ohne Aufforderung erhob. Beim letztenmal war er gewalttätig geworden, seine absolute Reglosigkeit in eine Raserei von aufgestauter Energie umgeschlagen, wie ein Ballon, der immer weiter und weiter aufgeblasen wird, bis er platzt, und es hatte sowohl O’Kane wie Mart gebraucht, um ihn niederzuwerfen. Jetzt aber stand er einfach nur in seinem gestärkten blauen Schlafanzug da, etwas krumm und nach rechts geneigt, weil seine Beinmuskeln aus Mangel an Bewegung geschwächt waren. Die Frage schien er nicht gehört zu haben.
    »Sie fühlen sich wohl besser, was?« setzte O’Kane nach. Sehr wichtig war es jetzt, ihn in ein Gespräch zu verwickeln, als ersten Schritt – er wachte auf, kam aus seinem Zustand heraus, kehrte in die wirkliche Welt zurück nach einem langen Aufenthalt in einer anderen.
    Mr. McCormick sah ihn geradeheraus an, keine Käfer, keine Dämonen, keine Augen, die die Wände hinaufkrochen. »Ich... ich... ist schon Essenszeit? Ich wollte gerade zum Mittagessen...« Und dann: »Ich habe geschlafen,

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