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Riven Rock

Riven Rock

Titel: Riven Rock Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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oder?«
    Bei all seiner Erfahrung und dem daraus resultierenden Zynismus war O’Kane doch fasziniert und begeistert: Mr. McCormick sprach wieder! Nicht nur das, er sprach sogar ganz vernünftig – fast jedenfalls –, er schlug nicht um sich, fluchte und spuckte nicht und ging auch nicht auf seine Pfleger los, als wären sie Teufelsgezücht. Er hatte Hunger, das war alles, wie ein ganz normaler Mensch. In einer blitzartigen Vision sah O’Kane die kommenden Wochen und Monate vor sich: der Schlauch zum Ernähren war unnötig, Mr. McCormick zog sich selbst an, benutzte die Toilette, riß wieder Witze, griff in die Brusttasche und zog sein Scheckbuch hervor: Wegen dieses Grundstücks, für das Sie sich da interessieren, Eddie...
    »Hallo, Mr. McCormick«, sagte ihm Nick von seinem Stuhl am anderen Ende des Zimmers, und Pat, dessen Gesicht wie ein Gemälde in Mr. McCormicks Hüfthöhe hing, grüßte ebenfalls.
    »Meine Frau«, sagte Mr. McCormick, und es war, als existierten sie alle nicht, sein Blick war auf einen weit entfernten Punkt gerichtet, er ging durch die Wände und über das Anwesen hinaus bis in die Stadt zu dem eleganten Abendempfang in der Arrellaga Street. Er schlurfte ins Zimmer, unsicher auf den Beinen, als rutschte er auf Kieselsteinen, fuchtelte mit den Armen, um das Gleichgewicht zu halten. »Katherine«, sagte er, und der Name schien ihn zu verblüffen, als hätte er ihn nicht selbst ausgesprochen, als hätten sich die Silben irgendwie aus der Luft extrahiert und spontan zusammengeschlossen. Er scharrte mit den Füßen. Nahm Anlauf. Überlegte es sich anders. Blieb stehen. Schließlich, mit der schmerzverlachenden Entschlossenheit eines Mannes, der über glühende Kohlen geht, trat er in die Mitte des Zimmers, wo er mit heftig bebenden Schultern stehenblieb. »Mutter«, sagte er, und jetzt sah er O’Kane direkt in die Augen, »ich muß wohl eingeschlafen sein...«
    »Mr. McCormick!« O’Kane hatte keine andere Wahl, als die Stimme zu heben, er rief zu jemandem, der gerade im Meer ertrank, zwischen tosenden Wellen und immer näher rückenden Felsen, aber er durfte ihn nicht wieder untergehen lassen, das durfte nicht sein. »Mr. McCormick, Sir ! Guten Abend ! Möchten Sie vielleicht etwas essen ? Sehen Sie mal hier« – dabei gestikulierte er in Richtung des Tellers auf der Anrichte, winkte ihn weiter wie ein Verkehrspolizist –, »wollen Sie nicht sehen, was es zum Abendessen gibt? Guter Schinken , der ist köstlich. Hier, versuchen Sie mal – Sie mögen Schinken , das wissen Sie doch.«
    Und da war er, bleich wie Wasser stand er auf einmal im Pyjama vor der Anrichte, mit nackten Füßen und herabhängenden Armen, leicht zur Seite geneigt wie ein schlecht gestützter Baumschößling, und er aß, schob sich erkaltende Kartoffelklumpen in den Mund, die Kiefer mahlten, in seinen Augen glänzte Zufriedenheit, Normalität, der erste Schritt...
    Aber es sollte nicht sein.
    Schweigend beobachteten sie ihn beim Essen, sahen zu, wie er sich mit beiden Händen die Speisen in den Mund stopfte, würgend und zähneknirschend die Finger leckte und die Hände an der Pyjamajacke abwischte, und das alles war gut so, ein kleines Wunder, bis die Dämonen ihn wieder packten und er ungestüm zu ihnen herumwirbelte, O’Kanes Gabel in der Faust. Jetzt war er wieder der Gejagte, in die Enge getrieben wie ein Tier, und das alte Fieber flackerte in seinen Augen. »Meine Frau!« schrie er. »Ich will meine Frau! Hört ihr mich? Habt ihr verstanden?«
    O’Kanes Stimme war ein langer Schluck Sirup, die vernünftigste und beschwichtigendste Stimme der Welt. »Mr. McCormick, ich bin’s doch, Eddie O’Kane. Und sehen Sie nur, Ihre Freunde Nick und Pat sind auch da. Aber Ihre Frau, die ist nicht hier – das wissen Sie doch. Sie haben geschlafen, sonst nichts. Geträumt. Und hier ist Ihr Abendbrot, genau so, wie Sie’s gerne haben.«
    Mr. McCormick machte eine spastische Gebärde, schwang die Gabel wie einen Dolch. Seine nackten Zehen krallten sich in den Boden. Er verlagerte das Gewicht von einem Fuß auf den anderen. »Ihr«, stammelte er, »sie, sie – Katherine. Ich will sie fi-ficken, das will ich, und ihr bringt sie mir sofort her. Ha-habt ihr gehört? Verstanden?«
    Wieviel von ihrer Unterhaltung zuvor hatte er mitbekommen? Das fragte sich O’Kane, während er Pat mit den Augen ein Zeichen gab und sich langsam vorwärtsschob, immer darauf achtend, sein Gewicht sprungbereit auf die Fußballen zu verlagern. Glaubst

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