Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Riven Rock

Riven Rock

Titel: Riven Rock Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
Vom Netzwerk:
tatsächlich, aber es war keine Melodiewalze dafür da, deshalb einigten sie sich auf »The Streets of New York«, das sie zweimal durchlaufen ließen, mit O’Kane als Begleitung, und dann »Alexander’s Ragtime Band«. Das machte sie durstig, deshalb setzten sie sich an einen Tisch, und O’Kane bestellte Whiskey für beide, ohne Bier zum Nachspülen. Er fühlte sich wohl und war gesprächig, wollte seinem Saufkumpan – der Joe Irgendwie hieß – gerade von Mr. McCormick erzählen, der nach so langer Zeit erwacht war wie Dornröschen, und woher er, O’Kane, dieses Loch in der Backe, die aufgeplatzte Lippe und den blauen Fleck an der Schläfe hatte, da blickte er auf und sah Giovannella Dimucci am anderen Ende des Saals an den Speisetischen sitzen, neben einem Mann, der ihr den Arm um die Schultern gelegt hatte und ihr gerade etwas ins Ohr flüsterte. Aber Giovannella sah ihren Begleiter nicht an. Sie starrte quer durch den Raum. Zu O’Kane.
    Wer kann schon sagen, was ein Mann in so einem Augenblick fühlt? Was für fehlgeschaltete Verbindungen da plötzlich funken, welche stillgelegten Nervenbahnen und Blutgefäße von einem Moment zum anderen zu rauschendem Leben erwachen? O’Kane erhob sich abrupt von seinem Stuhl, ohne ein Wort zu Joe Irgendwie, der mitten in einem zusammenhanglosen Monolog über den Verlust seines Hutes, seiner Brieftasche und seines linken Schuhs war, und bewegte sich wie in Trance durch den dichtbesetzten Saal. Seine Hüften waren straff, die Beine kompakt wie zwei Kolben, er spürte, wie die schwere Muskulatur sich bei jedem weiten Schritt anspannte, lockerte und wieder anspannte, dabei schwangen die Schultern vor und zurück in seinem rhythmischen, autonomen Takt, sein Herz schlug fest und sicher, er nahm alles mit höchster Konzentration wahr. Er sah Giovannella gar nicht an, auch nicht den Mann neben ihr, jedenfalls nicht sein Gesicht – sein Blick lag wie gebannt auf dem Arm, der so viele Dinge bedeutete, diesem Arm, den er gern an sechs Stellen brechen wollte. Es hätte keinen Sinn gehabt, ihm klarzumachen, daß Giovannella absolut und jederzeit das Recht hatte, auszugehen, wohin und mit wem sie wollte, und daß es niemanden zu kümmern hatte außer sie selbst, wann und wie dieser unschuldige Arm sich so lässig um ihre Schulter geschlungen hatte, aber es war zwecklos. Die Würfel waren gefallen, weitere Worte sinnlos.
    O’Kane trat an den Tisch heran und fetzte den Arm von Giovannellas Schulter, wie man einen abgestorbenen Zweig von einem Baum reißt, stellte zu seiner Verblüffung aber fest, daß der Arm nicht allein war. Es war eine Frage von Sehnen, Knochen, Knorpeln und einem anfangs überraschten, dann aber entrüsteten flachshaarigen, fleischigen Bauernjungen in einem blaßblauen, ausgewaschenen Overall, der den Stamm dieses speziellen Baumes bildete. »Das geht doch nicht!« sagte O’Kane, womit er mehrere Dinge auf einmal meinte, und als der Arm sein Recht spontan wieder geltend machen wollte, schlug er ihn erneut beiseite und zeigte dem Bauernjungen das blutige Loch unter seinem Auge, die Verletzung an der Schläfe und die gesprungene Lippe, die inzwischen gelb von Eiter war, und der Bauernjunge zögerte. Immer noch ohne sie anzusehen, ohne ihr auch nur einen Seitenblick zuzuwerfen, streckte O’Kane zielsicher die Hand aus und zog Giovannella auf die Beine. »Wir gehen«, sagte er, dabei fixierte er den finster aussehenden Nachbarn des Bauernjungen mit seinem irren Blick – nur für den Fall, daß der seinen Arm ebenfalls ausgekugelt haben wollte. Und dann, als könnte Giovannella den geringsten Zweifel über Sinn und Absicht seines Tuns hegen, senkte er die Stimme zu einem urzeitlichen Grollen und verlieh seiner Aussage eine gewisse Dringlichkeit: »Und zwar sofort.«
    Sie war nicht erfreut. Sie kämpfte auf jedem Schritt des Weges gegen ihn an, durch das Gewirr der Tische, in die Eingangshalle und zur Tür hinaus auf die verlassene Straße. Niemand wandte sich gegen ihn – sie sahen kaum von ihrem Bier auf –, und dieser Bauernjunge und sein finsterer Geselle sollten ihm nur nachkommen, sollten sie doch. Er zerrte sie einen halben Block weit, ehe sie sich von ihm losriß, das Gewicht verlagerte wie ein Profiboxer und mit aller Gewalt auf ihn einprügelte, dorthin, wo es weh tat, genau auf die Stelle, wo Mr. McCormicks Gabel sich in sein Fleisch gebohrt hatte, so daß es sich einen kurzen, aber brennenden Moment lang so anfühlte, als würde ihm das Gesicht vom

Weitere Kostenlose Bücher