Riven Rock
Knochen gerissen wie eine Gummimaske. »Du Dreckskerl!« schrie sie.
»Ich?« Er war empört, voll Verbitterung und Groll ob der schieren Unvernunft ihrer Reaktion. War sie verrückt? Konnte das sein? » Du hast doch in dieser Kaschemme herumgehangen, den Arm von irgendeinem Arschgesicht um die Schultern wie eine gewöhnliche...«
Wieder ging sie auf ihn los, holte weit aus für den nächsten Schlag mit dem spitzen kleinen Bündel aus Knöcheln, das ihre linke Faust war, als er ihren Arm am Handgelenk packte. Pfeilschnell schoß ihre andere Faust vor, aber er packte auch sie. Er dachte überhaupt nicht nach, kein bißchen, aber irgendwo tief drinnen vermerkte er, wie es sich anfühlte, diese schmalen, schnell durchpulsten Handgelenke festzuhalten, die wie zwei Vögel waren, zwei aus der Luft geschnappte Spatzen, im Griff seiner unbezwingbaren Hände, und dieses Gefühle war elektrisierend. Es durchzuckte ihn, und keine Macht auf Erden konnte ihn zurückhalten. »Wie eine gewöhnliche Hure«, sagte er.
Sie spuckte ihn an. Trat mit gelenkigen Beinen nach ihm. Verfluchte ihn, zuerst auf italienisch, dann auf englisch. Es half alles nichts. Überhaupt nichts. Weil er stärker war und ihre Handgelenke gepackt hielt, und er würde nicht loslassen, nicht jetzt und vielleicht nie wieder.
In einem unbeholfenen Tanz führte er sie die Straße entlang, beide seitwärts dahinschlurfend, bis er nördlich des Potter Hotel einen Platz fand, wo die Bäume dicht standen, und es bestand kein Zweifel darüber, wie die Sache ausgehen würde. Bei aller Kraft ihres Charmes und ihrer schwarzen, eindrucksvollen Augen und ihres Körpers, der jung und ohne Makel war, rückhaltlos und unbefangen, war er doch noch charmanter, noch beeindruckender – und stärker. Sie mußte das begreifen, und schließlich, nachdem er sie grob, vielleicht zu grob, angefaßt hatte, begriff sie es auch. Unter den nachtblühenden Büschen klammerte sie sich im Dunkel der sternenlosen Nacht an ihn, ihre nackte Haut auf der seinen, und sie schluchzte für ihn, schluchzte so sehr, daß er glaubte, sie müsse zerbersten, und dann, erst dann ließ er los und spürte, wie ihn die Wärme durchflutete, als wäre sein ganzes Blut ausgelaufen und statt dessen Whiskey, heißer brennender irischer Whiskey von der heiligen Insel, in seine Adern geflossen. So lagen sie die langsam dahinrinnenden Stunden hindurch dort, sprachen mit leiser Stimme, küßten einander und ließen den Nebel herabwallen wie den Atem von etwas so Großem und Überwältigendem, daß sie es sich niemals hätten vorstellen können, und als er sie diesmal an sich zog, da mußte er sie nicht mehr zwingen.
Ach ja. Ja. Aber jede Idylle hat ein Ende, wie er sehr wohl wußte, und nur allzuoft endet sie mit klammen Kleidern, Insektenstichen und wehem Kopf. Sie endet mit dem Anbruch des Tages, einem Nadelstich des Nebels, der zu Nieselregen wird, dem schmerzlichen Kreischen eines verirrten Vogels. Giovannella musterte ihn mit dem Blick einer Braut, und er wußte, daß er verloren war. »Ich verspreche es«, sagte er zu ihr, »ich schwöre es«, und er barg sie in seinen Armen, kehrte sein Innerstes nach außen, Schuld- und Reuegefühle, Angst und Selbsthaß – und doch stieg etwas ihn ihm auf, es ließ ihn beinahe platzen, und es fühlte sich bedrohlich an wie... ja, wie Liebe .
Ihm brummte der Schädel, sein Anzug war eine Katastrophe, das Gesicht noch schlimmer, und so ging er ins Hotel, während Giovannella bibbernd in dem Wäldchen wartete, und rief bei Roscoe an. Roscoe war eben aufgestanden und frühstückte in der Küche des großen Hauses, neben ihm plapperte Sam Wah auf chinesenenglisch vor sich hin, Nick und Pat begingen bei schwarzem Kaffee das Ende ihrer Schicht und bereiteten sich auf die Heimfahrt vor, an deren Ende Roscoe normalerweise O’Kane vor dessen Wohnung in der Micheltorena Street abholte. Von diesem Vorhaben brachte O’Kane ihn ab. Er machte seine Außenstände geltend, indem er Roscoe daran erinnerte, wie oft er ihm im Lauf der letzten Monate geholfen hatte, ihm die Brüderschaft ihrer Zechtouren in der Zeit vor Rosaleens Ankunft ins Gedächtnis rief, und Roscoe willigte tatsächlich ein, auf sein Frühstück zu verzichten und zum Potter Hotel zu kommen, um Giovannella nach Hause zur Olive Mill Road zu bringen, zu der Lücke in den Oleanderbüschen – und O’Kane zur Arbeit zu fahren.
Wie O’Kane diesen Tag überstand, wußte er später nicht mehr.
In dem Badezimmer, das er
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