Rixende ... : Historischer Roman (German Edition)
selten zuvor gesehen - und er war wirklich weit gereist.
Welch ein Anblick, dachte er, welch ein Glück!
Rixende, die vor Aufregung schon im Morgengrauen aufgestanden war, hatte sich von Mengarde das lange dunkle Haar geradezu kunstvoll flechten lassen. Über einem schwarzen Unterkleid trug sie ein ärmelloses, seitlich geschnürtes senffarbenes Überkleid, dessen Saum ein schwarzes Mäandermuster schmückte. Die Muhme, aufgeregter als Rixende selbst, stand schon bereit, ihr den für den Kirchgang passenden Mantel umzuhängen. Den erhebenden Augenblick des ersten Zusammentreffens der beiden, hatte sie sich um nichts auf der Welt entgehen lassen wollen.
Galant verbeugte sich Aimeric vor Rixende.
„Ich freue mich über alle Maßen, Euch endlich kennenzulernen, und ich muss sagen, dass ich von Eurer Schönheit und Eurem Liebreiz mehr als angetan bin, Rixende Ripoll“, sagte er ein wenig hölzern. „Ihr habt Euch hoffentlich gut eingelebt hier im Haus?“
„Danke, Euer Vater ist sehr freundlich zu mir, und die Dienstboten lesen mir jeden Wunsch von den Augen ab, was mir manchmal peinlich ist, weil ich es nicht gewohnt bin.“
Aimeric lachte. „Nun, unsere Benete hat allerdings ihren eigenen Kopf. Mit ihr werdet Ihr es nicht leicht haben Rixende. Das muss ich Euch ganz offen sagen. Nach dem Tod meiner Mutter hat sie die Zügel in die Hand genommen, und die gedenkt sie sich noch lange nicht abnehmen zu lassen. Sagt es nur, wenn sie Euch gar zu barsch behandelt. Ich bin der einzige hier im Haus, auf den sie hört.“
„Mit Eurer Benete wird es keine Probleme geben, da könnt Ihr beruhigt sein“, sagte Rixende. „Ich habe mit ihr ein Abkommen getroffen: Sie bleibt weiterhin für alle häuslichen Angelegenheiten zuständig, wird mir aber nach unserer Hochzeit die Abrechnungen vorlegen.“
„Das ist sehr vernünftig, Rixende Ripoll. Ich danke Euch für Eure Weitsicht und für Euren Großmut. Nun aber lasst uns rasch zur Kirche laufen, die Glocken läuten schon. Vater ist bereits vorausgegangen, er ist nicht mehr der Schnellste.“
Rixende nickte und bedankte sich für den Rubin, den sie an ihrem linken Zeigefinger trug.
Auf dem Weg zur Kathedrale warf sie immer wieder einen verstohlenen Blick auf ihren zukünftigen Gatten. Er schien ein wenig kurzatmig zu sein, was aber damit zusammenhängen konnte, dass er beim Laufen unablässig redete und gestikulierte – auch dies offenbar ein Erbteil seines Vaters. Obwohl er überaus freundlich und aufmerksam ihr gegenüber war, kam er ihr sehr fremd vor. Würde sie diesen Mann tatsächlich eines Tages lieben können?
Es ist noch zu früh, schalt sie sich. Was hatte sie nur erwartet? Man muss sich Zeit lassen zum Kennen- und Liebenlernen, auch Rom ist schließlich nicht an einem Tag erbaut worden.
Die Kathedrale St. Nazaire war erst vor knapp fünfzig Jahren vollendet worden. Als der alte Fabri Rixende zum ersten Mal durch das mächtige Langhaus geleitet und ihr dabei die schreckliche Geschichte jenes Nazaire erzählte hatte, die in der Historia Lombardina nachzulesen sei, hatte die junge Frau erstaunte Augen gemacht. Vor allem hatten es ihr die sieben hohen, lichtdurchfluteten Fenster des Chores angetan. Doch heute, als das Morgenlicht durch die große blaue Rosette des nördlichen Querschiffs fiel, die das Haus Fabri gestiftet hatte, und kleine Stäubchen auf vorwitzigen Sonnenstrahlen auf und ab tanzten, war Rixende, trotz der unsicheren Gefühle, die sie für ihren Bräutigams empfand, geradezu stolz darauf, bald richtig zu dieser angesehenen Familie zu gehören.
Sie hatten auf der eigenen Bank der Fabris Platz genommen, ganz vorne auf der linken Seite – der alte Mann saß zwischen den Brautleuten -, und Rixende begann sich zunehmend wohl zu fühlen, wenngleich es sich um hartes, hochlehniges Gestühl handelte. Wie jeden Morgen musterte sie zunächst die seltsamen Gestalten, die sich auf den Kapitellen vor dem Altar befanden. Da waren Engel mit Weihrauchfässern, dann welche mit Bändern, Männer mit gekrümmten und verzerrten Körpern und solche mit Tierköpfen, ein musizierender Hirte, Vögel, Schlangen, Affen und eine Bache, die gerade ihre Jungen nährt.
Rechts und links des Altars befanden sich – eingehüllt in Weihrauchschwaden – die Stehbänke für Carcassonnes Mönche. Während des sonntäglichen Hochamtes waren sie meist anwesend, auf der rechten Seite die Dominikaner und links vom Altar die Franziskaner. Wochentags feierten sie Messe und
Weitere Kostenlose Bücher