Rixende ... : Historischer Roman (German Edition)
gegeben. Unser Bruder Rainier Sacconi hat in seiner Zeit als Inquisitor die Summa de Catharis et Pauperibus de Lugduno verfaßt. Darin ist die katharische Auffassung über unseren Herrn festgehalten. ´Christus, so glauben die Katharer, war ein Engel, den Menschen als Führer zur Erkenntnis des Guten gesandt, der niemals wirklich aß, trank, litt, starb, begraben ward; seine Auferstehung geschah nicht wirklich.` All das war nur vorgestellt, sagen sie. Dass diese seltsame gnostische Denkweise falsch ist, darüber sind wir uns gewiss einig. Wir stehen auf der richtigen Seite und nicht die Ketzer.“
Angelo pflichtete ihm bei.
„Doch nur einmal angenommen“, fuhr Fulco fort, „die Katharer hätten recht und nicht wir, so wären wir wohl nur erlöst, wenn wir sündlos lebten wie er. Wer aber bewusst sündigt, dem war Christus kein Vorbild, der hat nichts gelernt; demzufolge ist ihm auch nicht zu helfen.“
„Deshalb verachten wohl die Ketzer auch die Sakramente als Lug und Trug?“
Fulco nickte. „So ist es. Doch über die weiteren Glaubensvorstellungen der Katharer – es finden sich wirklich haarsträubende Dinge darunter, man hat uns im studium generale nicht im unklaren gelassen - sollten wir uns vielleicht in einer anderen Nacht einmal ausgiebig unterhalten. Wobei der Inhalt solcher Gespräche natürlich streng unter uns bleiben muss.“
Nachdenklich stand Fulco auf, streifte sich wieder den Ring über den rechten Mittelfinger und hängte sich das Kruzifix um die Mitte.
„Es ist Zeit zur Laudes. Kommt, Bruder Angelo.“
36
So siehst du wohl, auf Könige muss es gehen:
So viele gibt`s, und gute sind so rar!
Dante , Die Göttliche Komödie
Pierre Authiés Wege führten ihn erst im Frühling 1303 nach Carcassonne. Ohne jemanden aus dem Kreise ihrer Glaubensbrüder und -schwestern über den Besuch des berühmten parfaits zu unterrichten, sorgte Benete nach seinem Eintreffen im Roten Haus dafür, dass er mit Rixende unter vier Augen sprechen konnte. Die Köchin führte den Mann in Rixendes Schreibstube, und hielt, nachdem die beiden sich eingeschlossen hatten - wie Cerberus vor dem Eingang des Hades –, mit hochrotem Kopf am Fuß der Treppe Wache, damit nicht etwa einer der Gesellen hinaufstieg, und das Gespräch der beiden belauschte.
Als ihm am zweiten Weihnachtstag, dem Tag des Erzmärtyrers Stephanus, in einer katharischen hospicia Benetes Nachricht mitsamt einem Fässchen Wein überreicht wurde, hatte sich der parfait nicht vorstellen können, was die Schwiegertochter des weit über Carcassonne hinaus bekannten Castel Fabri von ihm wollte. Pierre Authié hatte in seiner Jugend kein reines Leben geführt, und auch später war es manches Mal notwendig gewesen, sich selbst die trapassar aufzuerlegen, die strengen Bußleistungen der Katharer, unter denen einhundertzwanzig Tage Fasten noch harmlos war. Er dachte schmunzelnd an Stephanus, der – natürlich stets getrieben vom Heiligen Geist – auch als Witwentröster bekannt war. Dann jedoch überlegte er ernsthaft, ob die Witwe Rixende Fabri vielleicht daran dachte, ihren Glauben zu wechseln.
Der Perfekte war von großer Statur, hatte haselnussbraune, leicht schräggestellte und äußerst wache Augen, vom vielen Fasten eingefallene Wangen, eine gerade, gutgeschnittene Nase und einen gleichermaßen gefälligen wie entschlossenen Mund. Zur Sicherheit war er wie seinerzeit Aton als Kaufmann gekleidet. Er trug eine schwarze Kappe auf seinem schneeweißen Haar und unter einem feinen Umhang aus Tuch Beinlinge aus grauem Samt, ein weißes Leinenhemd mit weiten Ärmeln und ein dunkelbraunes geschnürtes Lederwams.
„Seid gegrüßt“, sagte er, und seine Augen blickten wohlwollend auf Rixende. Er nahm das Barett ab und verbeugte sich, wobei ihm silberdurchzogene dunkle Locken ins Gesicht fielen. Wie sein Bruder Guillaume und sein Sohn Jacques hatte er vor seiner Flucht in die Lombardei den ehrwürdigen Beruf des Notars ausgeübt. Nach seiner heimlichen Rückkehr vor fünf Jahren waren sie alle drei zu Wanderern geworden, ohne Haus und Hof und arm an Gütern, denn das Familienvermögen war in der Zwischenzeit konfisziert worden.
„Ich danke Euch, dass Ihr gekommen seid, Herr Authié“, sagte Rixende höflich und bat ihn, Platz zu nehmen.
Rixende wusste nicht so recht, wie sie das Gespräch fortsetzen sollte, obwohl sie sich in Gedanken seit langem darauf vorbereitet hatte.
„Mein Bruder war der Hüter ...“, sagte sie nach kurzem Zögern.
Authié
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