Rixende ... : Historischer Roman (German Edition)
vor ihren Augen auf. Délicieux hatte jedoch vorgesorgt. Mit einer Fackel leuchtete er in die Tiefe, dann warf er einen Stein hinab. Es schepperte beträchtlich.
„Hm, Wasser ist dort unten keines mehr. Gut möglich, dass es sich tatsächlich um den Aus- oder Eingang dieses ominösen Gangs handelt“, meinte er. „Um sicherzugehen, müsste man hinuntersteigen. Am besten wäre dazu jemand geeignet, der nicht zu schwer ist. Ein Kind könnten wir anseilen und hinablassen.“
Rixende nickte. „Ja, ich kenne da jemanden. Treffen wir uns morgen wieder zur gleichen Zeit?“
Obwohl es schon bald dämmern musste und ihr der Zusammenstoß mit dem betrunkenen Fuhrmann noch immer in den Knochen steckte, lief Rixende zum „Dreifuß“. Zwar war Lusitana nicht da, doch der Wirt beschrieb ihr eine kleine Hütte in der Vorstadt. Noch immer pfiff der Wind, was das Zeug hielt, und Rixende hüllte sich eng in den braunen alten Umhang, den sie für den Besuch des Berardturms ausgewählt hatte. Nichts Böses ahnend überquerte sie die Brücke hinter dem Audetor und lief geradewegs Olivier Martell in die Hände. Der Senator zügelte sein Pferd, stieg ab und verbeugte sich tief vor ihr.
„Gott zum Gruße, schöne Frau“, sagte er, bass erstaunt über sein Gegenüber. Er trug ein elegantes, pelzbesetztes Wams in der Farbe seiner rehbraunen Augen und Haare, eine grüne Samtkappe und farblich dazu passende Beinlinge sowie weiche hellbraune lederne Stiefel. „Ich traute meinen Augen kaum, als ich Euch auf mich zukommen sah. Es wird bald dunkel, und Ihr seid völlig ohne Schutz unterwegs! Ist das nicht zu gefährlich für eine solch prächtige Frau, wie Ihr es seid? Es treibt sich allerlei Gesindel in der Vorstadt herum. Was würde Euer Gatte dazu sagen, wenn er Euch hier sähe?“
„Nichts, denn meine Wege sind ehrlicher Art“, erwiderte Rixende kurz angebunden. Noch immer hatte sie ihn im Verdacht, die Lügen über sie verbreitet zu haben. Außerdem gefiel ihr der lüstern-freche Ausdruck seiner Augen nicht.
„Mag ja sein“, erwiderte Martell. Er lächelte süffisant und verbeugte sich erneut auf übertriebene Art vor Rixende. „Das stelle ich gar nicht in Abrede. Ehrlich, aber gefährlich! Das erstere schließt das letztere nicht aus. Darf ich Euch wenigstens meine Begleitung anbieten? Ich könnte es mir nicht verzeihen, geschähen Euch Unbilden! Und Euer Gatte würde mir es mir ebenfalls übelnehmen, wenn ich Euch in dieser Gegend Eurem Schicksal überließe.“
Dieses Angebot konnte Rixende schlecht ablehnen. Martell durfte aber auf keinen Fall Zeuge sein, dass sie Lusitana traf, ja er durfte nicht einmal misstrauisch werden, weil er sie hier allein angetroffen hatte.
Vom Fluss her war Nebel aufgezogen, und aus den umliegenden Sümpfen roch es dumpf und brackig. Ein großer Vogelschwarm zog geräuschvoll über ihre Köpfe hinweg.“
Martell sah den Vögeln nach und Rixende an ihm vorbei in eine der Gassen der Vorstadt. Da kam ihr die rettende Idee.
Sie gab sich einen Ruck und sagte entschlossen:
„Ich weiß Euer Angebot durchaus zu schätzen, Herr Senator. Habt herzlichen Dank dafür. Doch bin ich keineswegs ohne Schutz. Mein Pferd hat gescheut. Es muss etwas Falsches gefressen haben. Mein Diener hat es ein wenig abseits geführt, damit es sich beruhigt. Seht, Herr Konsul, dort hinten wartet er, ich will mich sputen und sehen, ob alles wieder in Ordnung ist mit dem Tier.“
Mit diesen Worten ließ sie Martell stehen und eilte in die Richtung eines fremden Mannes, der ein Pferd am Zügel hielt.
Elend und Dreck und beißender Rauch, der aus unzähligen kleinen Hütten aus Rutengeflecht und Kleiberlehm zog, beherrschten die Gegend, in der Lusitana wohnte, und nur der einfache braune Umhang, schützte Rixende weitgehend vor den herumlungernden, auf Allotria oder Schlimmeres sinnenden Männern. Mehrere Male bedauerte sie es, Martells Angebot ausgeschlagen zu haben. Das Stroh in den winkligen Gassen war vollgesogen mit Kot und Urin. Ein scheckiger Köter sprang kläffend auf Rixende zu, so dass sie erschrocken stehenblieb. Doch er beschnupperte sie nur ein wenig und zog dann verwirrt von dannen. Dieser Geruch paßte nicht hierher.
Endlich hatte Rixende im Wirrwarr der engen Gassen und dunklen Häuser, die Hütte gefunden, die ihr der Wirt beschrieben hatte. Sie klopfte. Lange rührte sich nichts, dann jedoch wurde die Tür einen Spaltbreit geöffnet. Ein hagerer Greis steckte das kahle Haupt heraus und fragte barsch
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