Rixende ... : Historischer Roman (German Edition)
jedoch ließ sich seine Erleichterung über ihre Erklärung nicht anmerken. Er konnte einfach nicht aufhören, sie anzusehen. Aus dem Dunkel schimmerte das Gesicht eines Engels. Sie sah so bezaubernd, so jung und frisch aus, wenngleich ihr Umhang ziemlich verschmutzt war und voller kleiner Federn hing. Hatte sie am Ende selbst mit angepackt im alten Turm? Was sollte er nur mit ihr reden, damit sie noch ein wenig länger bei ihm stehenblieb?
Auch Rixende fragte sich, was sie zurückhielt, die Laterne aufzunehmen und mit Paco nach Hause zu eilen. Der Inquisitor war ihr Feind, daran gab es nichts zu rütteln, doch schließlich konnte er sie nicht festhalten, sie hatte sich ja nichts zuschulden kommen lassen. Außerdem schadete es nichts, wenn sie ihn weiter von seinem Verdacht ablenkte.
Ein Käuzchen schrie durch die Dunkelheit. Paco ahmte es nach. Die beiden lächelten über den Jungen, wobei sich ihre Blicke trafen.
„Ach“, meinte da Rixende, „ich hatte noch gar keine Gelegenheit gefunden, Euch für das schöne Geschenk zu meinem Hochzeitstag zu danken, Herr Inquisitor!“ Ihre Stimme klang belegt.
Saint-Georges verbeugte sich galant. „Ich dachte mir, dass es Euch gefallen könnte ...“, sagte er, weil ihm nichts Besseres einfiel, so sehr brachte ihn Rixende aus der Fassung.
„Das tut es, das tut es ...“, meinte Rixende nun ihrerseits verwirrt. „Also ... es ist schon spät. Sehr spät. Ich muss jetzt gehen, wenn Ihr keine weiteren Fragen mehr an mich habt, Herr Inquisitor. Der Vater meines Gatten ängstigt sich leicht, wenn ich mich verspäte.“
„Natürlich, geht nur“, sagte Fulco von Saint-Georges versonnen. „Ich laufe Euch zehn Schritte hinterher, damit Euch nichts geschieht. Schließlich weiß man nie, welcher Schatten einem in der Dunkelheit begegnet.“
Im Roten Haus dachte Rixende lange über die seltsame Begegnung mit dem Inquisitor nach. Sie wusste den Mann nicht einzuschätzen. Sein Verhalten irritierte sie. War er raffiniert und machte ihr nur schöne Augen, um sie auszuspionieren? Steckte Saint-Georges mit dem Unbekannten unter einer Decke, der Paco ausgefragt und Lusitana misshandelt hatte, so war dies gewiss kein zufälliges Zusammentreffen gewesen. Sie musste wohl oder übel dem Mann alle Schandtaten zutrauen, die von Leuten seines Schlages begangen wurden. Er war Inquisitor. Mengarde hatte Recht. Doch was würde geschehen, wenn er noch immer misstrauisch war und sie vielleicht morgen nachmittag beobachtete?
Vorsichtshalber schrieb sie eine Warnung an Délicieux, um Aucassinne gleich am Morgen damit auf den Weg schicken zu können.
Rixende war müde und ihr Kopf schwer vom Grübeln, doch vor dem Einschlafen zwang sie sich, an Aimeric zu denken, der längst sehnsüchtig erwartet wurde. Nachdem sie für seine gesunde Rückkehr gebetet hatte – wobei sie sich wunderte, dass ihr nicht mehr recht einfallen wollte, wie sein Antlitz aussah –, schlief sie ein. Sie träumte aber weder von ihrem Gatten noch von Saint-Georges, sondern von Paco, der sich als ein wirklich tapferes Kerlchen erwies.
Nachdem der Junge abgeseilt war, hatte er nicht lange suchen müssen, um den Gang zu finden. Es hatte jedoch Stunden gedauert, bis er unzählige Steine zur Seite geräumt hatte, die den Gang unbegehbar machten. Endlich wurde Pacos helle Stimme vielfach von den Wänden des Schachtes zurückgeworfen: „Der Weg ist frei! Juhu!“
Nach der Complet, beim Singen des Salve Regina, fasste Fulco von Saint-Georges seinerseits den Entschluss, Abbéville das nächtliche Zusammentreffen von Rixende Fabri und dem Franziskaner zu verschweigen, obwohl ihn gerade dieser Vorfall brennend interessiert hätte, da er sich ständig bei Martell nach den Fabris erkundigte. Ob Abbéville den Alten verhaften wollte? Die Inhaftierung des Vidame, in dessen Haus die parfaits ein- und ausgegangen waren, wie Zeugen glaubhaft versichert hatten, war nach Aussage von Bruder Nikolaus nur eine Prüfung gewesen. Man hatte ausloten wollen, wie Seneschall, Bischof und Senat darauf reagierten. Davon hatte Abbéville ihn wenigstens unterrichtet. Aber nun plante er offensichtlich etwas hinter seinem Rücken. Mehr aus Zufall hatte Fulco von Saint-Georges vor drei Tagen erfahren, dass außer Martell ein weiterer geheimer Aushorcher auf die Familie Fabri angesetzt war. Und niemand außer dem Ersten Inquisitor kannte ihn, obwohl er für die Inquisition seit langem im Untergrund arbeitete. Dieses abgrundtiefe Misstrauen, das
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