Rixende ... : Historischer Roman (German Edition)
und Aufstieg möglich war, dazu genügend Fackeln und aufgerollte Seile, die sie sich und Paco um den Leib schlangen, um sich dort unten nicht zu verirren. Die Mönche führten außer schwerem Werkzeug zum Aufbrechen der Kerkerwand auch eine Wachstafel mit sich, um den tatsächlichen Verlauf des Ganges akribisch aufzuzeichnen.
Délicieux war überrascht, Castel Fabri zu sehen.
„Wäre ich zwanzig Jahre jünger“, sagte der Alte, „hätte mich niemand davon abgehalten, dort selbst hinunterzusteigen!“
„Das will ich gerne glauben!“ Der Franziskaner lachte. „Nun also frisch an die Arbeit. Der Herr segne unser Werk!“
Während Aucassinne mit dem Karren und der Aufforderung, die Augen offenzuhalten, wieder nach Hause geschickt wurde, kletterten die Novizen und Paco in den Brunnen hinunter. Délicieux ließ Fackeln sowie mehrere Säcke mit Lebensmitteln hinab.
Bald war von den dreien nichts mehr zu hören. Das Warten begann. Rixende bewachte den Brunnen, während Fabri, in eine Decke gehüllt, mit verschränkten Armen auf dem mitgebrachten Stuhl saß und sich leise mit Délicieux über das rätselhafte Ausbleiben Aimerics und der Franziskaner unterhielt. Als sie die tiefe Besorgnis aus Fabris Stimme heraushörte, fühlte Rixende erneut, wie sich das seit ihrer Kindheit bekannte unsichere Gefühl in ihr ausbreitete, die Angst vor plötzlichen Veränderungen. Sie hörte, wie Délicieux etwas über das Verhalten des Bischofs von Albi sagte, wobei ihr ein Gespräch einfiel, das sie ein paar Wochen vor ihrer Abreise nach Carcassonne in Gavarnie belauscht hatte. Der Franziskanermönch Paule, ihr Lehrer, hatte der jungen Magd Brunisende heftig ins Gewissen geredet.
„Brunisende, du tust unrecht!“
„Nicht mehr als der Herr Bischof“, hatte sie ihm trotzig entgegengehalten.
„Schweig und benutz deinen Verstand“, hatte Paule ihr zugeraunt. Rixende, die sich gerade im sotulum befand, dem kleinen halbversenkten Kellerraum, um dort für den Bayle das Weinmaß zu suchen, hatte dennoch jedes Wort verstanden.
„Wenn der Bayle erfährt, dass durch dich die Häresie sein Haus erfasst hat, wird es dir schlecht ergehen! Du schuldest ihm Gehorsam bis Johannis. Dieses Haus ist bisher von jeder Verunreinigung durch Ketzerei verschont geblieben. Doch einmal in Verdacht geraten, werden wir alle nicht mehr unseres Lebens froh sein können. Und es bedarf nur der losen Zunge einer neugierigen Frau, die durch einen Türspalt beobachtet, wie du dich zu dieser Gaillarde schleichst!“
„Ich gehöre zu den boni christiani “, hatte Brunisende stolz erwidert, „und niemand kann mich daran hindern, es laut zu sagen. Sie sind die einzigen, die in den Pfaden der Gerechtigkeit und der Wahrheit wandeln, auf denen die Apostel gingen. Sie lügen nicht. Sie nehmen nicht, was anderen gehört. Selbst wenn sie Gold und Silber auf der Straße liegen sähen, würden sie`s doch nicht mitnehmen, wenn es ihnen nicht jemand ausdrücklich schenkte. Gaillarde sagt ...“
„Du dummes, eitles Ding“, hatte sie Paule angefahren, „jedermann weiß, dass Gaillarde Pons der Häresie anhängt. Ihr wird nichts geschehen, denn ihr Bruder, der Priester, schützt sie. Sein Einfluss reicht weit. Aber wenn du offen zugibst, zu ihnen zu gehören, sind deine Tage gezählt! Dann wirst nicht nur du dein Leben verlieren, sondern auch deine ganze unschuldige Familie. Und das Haus des Bürgermeisters gilt fortan als infiziert. Weck also den schlafenden Hasen nicht, ich rate es dir, er wird dir nur mit den Füßen die Hände zerkratzen. Anständige Leute reden so wenig wie möglich.“
Rixende hatte bei diesen Worten augenblicklich Simon vor Augen gehabt, der auch als schweigsam galt.
Heute konnte sie sich gut vorstellen, auf welche Art einige Leute von Albi in Verdacht geraten waren, - und sie kam nicht umhin festzustellen, dass im Grunde auch das ehrenwerte Rote Haus infiziert war, wenngleich ...
Da hämmerte es plötzlich an der Tür des Berardturmes.
Die drei sahen sich erschrocken an.
„Schnell!“ flüsterte Rixende. „Wir müssen den Schacht abdecken!“
Hastig schoben sie das Brett über das Loch, und Rixende warf die alten Stoffballen darauf. Dann öffnete Délicieux die Tür einen Spalt breit, und fuhr überrascht zurück.
„Ihr hier, Herr Senator?“ fragte der Lektor erstaunt.
Olivier Martell war ebenfalls verblüfft, den Lektor der Franziskaner vor sich zu sehen. Er strich sich die Locken aus dem Gesicht und entschuldigte
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