Rixende ... : Historischer Roman (German Edition)
Abbéville gegen jedermann hegte, selbst gegen seinen Stellvertreter, war krankhaft. Und es hing nicht nur damit zusammen, dass er es gewagt hatte, Kritik an ihm zu üben, sondern, dass sich Bruder Nikolaus als neuen „Hammer der Christenheit“ sah. Abbéville - ein einsamer und stolzer Streiter Gottes, der sich von seinem eingeschlagenen Weg von nichts und niemandem abbringen ließ? Lächerlich, dachte sein Verweser, den man im studium generale gelehrt hatte, dass der Glaube erst dann ein echter Gehorsam ist, wenn er das Gegenteil allen Stolzes wird.
Wenn er ehrlich war, musste Saint-Georges zugeben, dass er ebenfalls nicht frei von Stolz war. Dafür jedoch glaubte er gute Gründe zu haben.
Lange dachte er über Abbéville und über sich nach und konnte nur schwer einschlafen in dieser Nacht, aber als er am nächsten Morgen dennoch frisch erwachte und sich seines schönen Traums entsann, in dem Sibylle und Rixende Fabri, zu einer einzigen Person vereint, ihm auf besondere Weise nahe waren, sprang er, noch bevor die Glocke zur Vigilie rief, recht fröhlich von seinem Lager auf. Zur hora prima gar bedachte er seine Brüder mit einem freundlichen Blick aus seinen dunklen Augen, dass diese sich wunderten, denn noch am gestrigen Abend war er ihnen eher mürrisch erschienen. Später, im Kapitelsaal, vermuteten einige nicht zu Unrecht, dass seine Verwandlung mit der bevorstehenden Abreise Abbévilles zusammenhing, der sich mit dem „Bischof von Toulouse“ ein unaufschiebbares Stelldichein gab und die nächsten zwei Wochen nicht in Carcassonne sein würde. Einer der Brüder wollte allerdings gehört haben, dass Seine Heiligkeit, Reginald de Montbason, gar nicht in Toulouse weilte.
Saint-Georges trat aus der Klosterpforte. Die Spatzen schimpften miteinander um die Wette, und die Luft erschien ihm lau und weich wie nie zuvor. Es wird Frühling, dachte er beschwingt. Frühling! Viel zu lange hatte er seine Gefühle hintangestellt. Dennoch war er noch immer nüchtern genug zu ahnen, dass es sich im Fall Rixende Fabris nur um einen törichten Versuch handeln könnte, für einige wenige kostbare Augenblicke der Wirklichkeit zu entfliehen.
Im Turm der Inquisition wurde er jedenfalls unsanft in die raue Wirklichkeit zurückgeholt. Ein weiterer Inhaftierter war in der Nacht gestorben. Bevor er mit einem Adjutanten nach Albi ritt, befahl Saint-Georges, sofort das Stroh auszuwechseln und für drei Tage die Brotrationen zu verdoppeln. Der Kerkermeister sah ihn an, als ob er einen Narren vor sich hätte, beeilte sich dann jedoch, der Anweisung Folge zu leisten.
Fulco von Saint-Georges hatte gewiss nicht vor, sich mit dieser Eigenmächtigkeit endgültig Abbévilles Zorn zuzuziehen, aber er wollte verhindern, dass während dessen Abwesenheit weitere Männer an der Endura starben.
Außerdem – durfte er nicht zur Abwechslung einmal selbst die Welt auf seinem Daumen tanzen lassen?
13
Die Seinen, deren Fuß gradaus doch schritt
in seiner Spur, sind rückwärts nun gekehret ...
Dante, Die Göttliche Komödie
Prall hatten sich im steten Wind die weißen Segel gebläht, der Kapitän hatte günstige Strömungen zu nutzen gewusst und das Handelsschiff gute Fahrt gemacht. Als im Morgendunst die gewaltigen Hafenbefestigungen Marseilles auftauchten, beschlossen Aimeric und die Seinen, so rasch wie möglich die Geschäfte dort zu erledigen und nach Carcassonne zurückzureiten. Drei Tage später war es soweit.
Bruder Balbino hatte in Marseille einen Reiseweg vorgeschlagen, der mindestens zwei Tagesritte kürzer sein sollte, und den anderen war es recht gewesen.
Die Luft war zwar noch kalt, sie roch aber bereits frisch und sauber, und erstes junges Grün spitzte aus den Ackerkrumen. Aimeric freute sich unsäglich auf Rixende, wenngleich ihm noch immer das Herz schwer war ob der schlechten Nachricht, die er der Stadt überbringen musste.
Sie überquerten sanft geschwungene Hügel, kamen durch Weiler mit zerfallenen Hütten und schliefen in einsamen Klöstern. Am vierten Tag war das friedliche Gemurmel eines kleinen Bächleins ihr Begleiter, dann jedoch erreichten sie eine eher raue Gegend, wo es nach Balbinos Kenntnis kein Kloster gab, in dem sie für die Nacht Unterschlupf hätten finden können. Sie mussten sich also eine Herberge suchen. So ritten sie bei Einbruch der Dunkelheit auf das erstbeste Licht zu und kehrten in einer düsteren rauchgeschwärzten Schänke ein. Der scharfe Nordwind, der ihnen schon einige Stunden lang, um
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