Rixende ... : Historischer Roman (German Edition)
Eigenleben: Sie zitterten.
So atmete sie dreimal tief durch und ließ dann den Inquisitor ins Kontor bitten.
Nachdem Saint-Georges die Witwe des Aimeric Fabri förmlich begrüßt hatte, setzte er sich ihr mit locker verschränkten Armen gegenüber, die dunklen Augen erneut nicht unfreundlich auf sie gerichtet. Dann erklärte er ihr den Grund seines Hierseins. Rixende zeigte sich bestürzt und erzählte ihm die mit Délicieux abgesprochene Geschichte.
„Ist der Schlüssel vielleicht gestohlen worden?“
„Nein, gestohlen wohl nicht“, sagte Rixende, beruhigt, dass endlich das Zittern nachgelassen hatte. „Der Junge hat ihn unterwegs verloren. Seit über einer Woche schon können wir nicht mehr in den Turm. Das ist verhängnisvoll, aber ich habe bereits einen Auftrag erteilt, das Schloss auszuwechseln. Seid Ihr um den Schlüssel gekommen?“
„Nein, das ist gewiss nicht nötig, Frau Fabri“, sagte Saint-Georges eitel. „Die Inquisition kennt vielfältige Mittel und Wege, um Türen zu öffnen.“
Rixende hob erstaunt die Brauen in die Höhe. „Wie? Haben Euch vielleicht die Franziskaner hineingelassen? Gibt es noch einen zweiten Schlüssel?“
Der Inquisitor lachte hochmütig auf. „Die Franziskaner? Aber nein, auf die Bettelmönche sind wir bestimmt nicht angewiesen, wir haben unsere eigenen Methoden.“
„Das will ich gerne glauben“, sagte Rixende ungerührt. „Und, habt Ihr etwas entdeckt im Turm?“
„Die Untersuchung ist noch nicht abgeschlossen. Im Augenblick bin ich dabei …“, Fulco von Saint-Georges schmunzelte und setzte dann alles auf eine Karte, „… nun, eine besonders schöne Frau zu befragen.“ Seine Zähne blitzen, und seine dunklen Augen verschlangen Rixende geradezu.
Rixende wich ein Stück zurück. Was bildete sich dieser Mann nur ein?
„Ich bitte Euch, Herr Inquisitor, Ihr vergesst Euren Stand. Für Artigkeiten und dergleichen ist mein Herz ohnehin nicht empfänglich“, sagte sie ernst und mit aller gebotenen Zurückhaltung.
„Das verstehe ich. Natürlich.“ Saint-Georges zögerte. Nur unmerklich kam er hier voran, obwohl er wusste, was er wollte.
„Euer Unglück, Frau Fabri, nein, ich verbessere mich: Jedes Unglück kann auch eine Gelegenheit bedeuten, neue Erfahrungen zu machen. Lasst also nicht zu, dass es euch hart macht. Gestattet mir, Euch eine Bitte zu unterbreiten: Wenn die Zeit Eurer Trauer vorüber ist, erlaubt mir, mit Euch ab und an ein wenig zu plaudern, wie neulich, als Ihr mich besuchtet. Dass ich Euch Tags darauf nicht empfangen konnte, lag an ... nun, es ging bedauerlicherweise nicht. Dafür entschuldige ich mich bei Euch.“
Rixende fühlte, wie sie über und über errötete. Das Verhalten des Inquisitors war unglaublich, ja geradezu peinlich. Dennoch sah sie Fulco offen ins Gesicht. Ihre grünen Augen glitzerten auffällig. Dann stieß sie hervor:
„Sagt, Herr Inquisitor, treibt Ihr ein schlechtes Spiel mit mir? Oder wie geht Eure Frage einher mit Eurer Berufung? Ihr seid Inquisitor und ein Mann Gottes, wie könnt Ihr auch nur daran denken, Euch heimlich mit einer Frau zu treffen.
Fulco von Saint-Georges lachte leise. „Lasst mich Euch eine kleine Geschichte erzählen von Antonius dem Einsiedler, den man heute für heilig hält. Er war allzeit ein fröhlicher Mensch. Das jedoch machte ihm ein frommer Mann zum Vorwurf. Da sagte Antonius zu ihm: ´Nimm einen Pfeil und spanne deinen Bogen.’ Das tat der Mann. Aber Antonius ließ es ihn ein zweites und ein drittes Mal tun. Da sagte der Schütze zum Heiligen: ´Wenn ich den Bogen derart spannen soll, wird er zerreißen!` ´Also ist es auch mit dem Dienste Gottes`, antwortete Antonius, ´wollten wir uns anspannen über unser Maß, so wären wir bald zerbrochen. Darum ist es ziemlich, dass wir manchmal von unserer Strenge ablassen!`“
Rixende konnte nicht anders. Sie musste ebenfalls lächeln. „Da gibt es noch eine weitere Geschichte um Euren lustigen Heiligen, Herr Inquisitor“, sagte sie. „Ich habe sie erst kürzlich gelesen. Eines Tages war Antonius im Geist entrückt und sah die Welt mit Schlingen überspannt, die alle auf wundersame Weise miteinander verknüpft waren. Da schrie er entsetzt auf und sprach: ´O Herr, wer mag diesen Schlingen entrinnen?“, worauf er eine Stimme hörte, die sprach nur ein Wort: ´Demütigkeit`.“
Fulco von Saint-Georges hatte kein Auge von Rixende gelassen. Als sie geendet hatte, biss er sich auf die Unterlippe. „Habt Ihr den Eindruck, dass es mir
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