Riyala - Tochter der Edelsteinwelt 3: Unter dem Eis funkelt die Nacht: Fantasy-Serial (German Edition)
bleiben.“
Es stimmte. Nirikel hatte wahr gesprochen. Noch immer fühlte Ayrun diesen Zorn in sich, weitaus stärker als angemessen. Um ein Haar hätte sie doch vorhin diesem wertlosen Kerl, der seine Frau misshandelte und seinen Sohn verstieß, einen Pfeil durchs Herz gejagt!
Rilan schluchzte an ihrer Brust. Er warf einen furchtsamen Blick auf seinen Vater. Mit der Wut der Ratlosigkeit brauste dieser nun auf. „Er wird also immer schwachsinnig bleiben? Dann ist er nichts als eine unnütze Last! Ich werde ihn hier irgendwo anbinden.“
„Das wirst du nicht tun, Elender.“ Ayrun erhob sich zu ihrer vollen Größe, den Jungen an sich gedrückt. Sie überragte den Mann um eine halbe Kopflänge. „Ich nehme Rilan als meinen Bruder an. Er bleibt bei mir.“
Aus verweinten Augen sah Rilans Mutter sie dankbar an. Ayrun erwiderte ihren Blick freundlich, voller Mitgefühl und sagte zu ihr: „Leb wohl, gute Frau. Ich wünsche dir, dass dein zweites Kind heil zur Welt kommt und heil bleibt. Ich weiß, du liebst Rilan. – Und du“, das galt dem Mann, und Ayruns Stimme war streng wie der Frost, „wage es nie wieder, deine Frau zu schlagen! Du fragtest vorhin, wer ich sei. Möchtest du einen hexanischen Fluch auf dich herabrufen? Ich werde es tun, wenn ich Anlass dazu habe. Ich werde es wissen und dich finden. Sei dessen sicher.“
Er wurde bleich, taumelte rückwärts und fiel fast hin. Ayrun bereute ihre Drohung – nicht nur, weil sie sich damit selbst verraten hatte und die Reaktion des Mannes unschwer voraussehen konnte, sondern auch, weil er nur ein armseliger Narr war, der nichts verstand, nichts fühlte. Er war es gar nicht wert. Aber immerhin hatte sie der Schwangeren geholfen.
Rilan umklammerte Ayrun heftig. „Meine Schwester!“, stieß er freudestrahlend hervor. „Du!“
Er hatte es begriffen. Wenn sein Herz hin und wieder zu sprechen vermochte, wozu brauchte er dann Geist? Trotz all der bestürzenden Ereignisse der letzten Stunde empfand Ayrun plötzlich nichts als reines Glück. „ Ja“, sagte sie lächelnd. „Du und ich, wir bleiben von nun an zusammen. Komm jetzt, Rilan, wir müssen hier weg.“ Es war dunkel, und in einem heftigen Schneeschauer verschwanden Ayrun und Rilan, ehe die Eisgarde alarmiert worden war.
*
Ruskan war stolz auf seine Fähigkeit, andere zu überzeugen, sie zu beeinflussen. Durch diese Fähigkeit war er an die Macht gekommen. Damals, im Frühlingskrieg, hatte er allein durch die Gewalt seiner Stimme Kampfbegeisterung in den Herzen seiner Anhänger geweckt und viele Schwankende auf seine Seite gezogen.
Er stand auf dem Königspodest des Großen Ratssaales, hinter einem runden Tisch, dessen Beine aus Walrosszähnen geschnitzt waren. Der Raum war mit dunklem Holz ausgekleidet. Prächtige milchweiße Vorhänge zierten die Fenster. Klangvoll hub Ruskan zu sprechen an.
„Meine Herren, Ihr macht Euch Sorgen um die allgemeine Lage. Seid versichert, auch ich denke Tag und Nacht darüber nach. Ihr habt bisher meine Maßnahmen gutgeheißen, nun entzieht Ihr mir Eure Gunst – warum? Ihr solltet weniger kleinmütig sein. Auch Schneefels wurde nicht in einem einzigen Winter gebaut. Dieser Vergleich lässt mich an die Vergangenheit denken. Sagt, edle Herren: Hat einer von Euch die Gefahren der Magie so genau studiert wie ich? Ich sage Euch: Das Böse auf Eisrand hat nur einen Namen: HEXAN! Und es lebt noch! Eine von diesen – Hexanerinnen ist noch am Leben.“ Ruskan legte eine wohlberechnete Pause ein. Auf dem Tisch stand ein verhüllter Gegenstand. Ein unangenehmes Gefühl ergriff Ruskan, als er darauf niedersah, und es war stärker als sonst. Zugegeben, er hatte die Kugel nicht auf ehrenhafte Weise erworben. Ganz genau erinnerte er sich noch an die letzte Schlacht um die Burg, an den Moment, da er einer sterbenden Hexanerin das magische Kleinod abnahm, indem er ihre Hand mit einem Fußtritt aufbrach … Doch war das nicht gleichgültig? Sie war sein, die Kugel. Nur das zählte. Ruskan zog das Tuch mit einem Ruck weg. „Durch dieses Ding weiß ich sogar ihren Namen“, fuhr er fort. „Der Name dieser letzten Verderberin lautet: Ayrun!“
Ein seltsames scharfes Knirschen kam von der Kugel. Ruskan zuckte leicht zusammen. Was war das? Offenbar hatte nur er es gehört.
Er sah, wie einige der Minister beifällig nickten.
„Und noch etwas habe ich erfahren: Sie nähert sich der Stadt! Zweifellos, um mich und Euch zu stürzen und selbst die Macht an sich zu reißen! Von ihr
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