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Road of no Return

Road of no Return

Titel: Road of no Return Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gillian Philip
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nur ein. Wieder sah ich zum Bahnübergang, der so weit weg war, viel zu weit zum Laufen für ein faules Mädchen. Gleise lassen immer alles so weit weg erscheinen. Man sieht an ihnen entlang wie in eine andere Welt, eine Welt, die man nie erreichen kann. Das liegt an den glänzenden, parallelen Eisensträngen, die sich einander ständig anzunähern scheinen, ohne sich je zu berühren. Unendlich. Ewig.
    Auf jeden Fall zu viel, um sich den Kopf darüber zu zerbrechen. Ich stützte mich auf die Ellbogen. Wer mich sah, musste denken, dass ich ganz entspannt war, völlig cool, aber eigentlich lehnte ich mich zurück, um mehr Kontakt zur Erde zu haben, damit meine Finger sich um die rauen Grasbüschel krallen und mich mit der Welt verankern konnten. Das Singen wurde lauter und bald schon würde sich der dröhnende Bass des Zuges mit seinem Echo vereinen und sein eigenes Lied übertönen.

    Bald? Gleich. Jetzt.
    Er kam aus dem Tunnel geschossen wie ein Dämon. Ich zwinkerte schnell und konnte ein paar Fetzen von verschiedenen Leben einfangen. Ein Kind am Fenster, die Hände seiner Mutter um die Taille gelegt, ein schlaksiges Mädchen, das auf einen Laptop starrte, Männer, Frauen, balancierend wie Tänzer, den Hintern an die Rücklehnen von Sitzen gedrückt und zusammengefaltete Zeitungen in der Hand. Aber es waren nur Augenblicke und dann waren sie vorbei.
    Ehrlich, es gibt Menschen, die wissen gar nicht, wie schnell sie sind. Ich meine nicht so etwas, wie wenn man es darauf anlegt und über die Autobahn rennt. Das wäre blöd, aber das hier, das ist Selbstmord. Es ist, als würde man es darauf anlegen und sein Leben auf die Schienen werfen und dort liegen lassen. Kaputt.
    Ich hatte schon immer Angst vor Zügen. Vielleicht kommt das daher, dass ich sie früher als Kind immer beobachtet habe und sie für eine Art von Göttern gehalten habe. Fast das Erste, was ich damals lesen lernte, war das Schild »Achtung Zug«. Also betrachtete ich das Verkehrszeichen als Zeichen und nahm es wörtlich. Und ich habe nie damit aufgehört, mich vor den Zügen in Acht zu nehmen.
    Allie hat nie Angst vor Zügen gehabt. Das war zwar dumm, aber zumindest bedachte sie sie mit einem gewissen gesunden Respekt. Schließlich lauschte auch sie auf das Lied. Und ich konnte mich darauf verlassen, dass sie nie die Schienen überqueren würde, wenn sie den Gesang hörte.
    Ich wartete, bis das Lied verklang, was lange dauerte. Es musste ganz verstummt sein, denn ich wollte nicht losgehen,
bis ich sicher sein konnte, dass nicht dahinter ein weiterer Gesang lauerte, im trügerischen Einklang mit dem vorherigen, unhörbar, bis einen sein Donnern traf. Also wartete ich, bis die Stille mehr als nur Stille war, bis sie zu einem Vakuum von Gefühl und Geräusch wurde, bevor ich die Böschung weiter hinunterstieg. Ich dachte kurz daran, bis zum Übergang zu laufen, aber die beiden weißen Stangen hatten sich gehoben und es fuhren Autos darüber. Außerdem zeigte mir ein Blick auf meine Uhr, dass ich auch so schon genug Schwierigkeiten hatte.
    Ich stürzte über die Gleise und versuchte, meine Angst davor, zwischen den Schienen stecken zu bleiben oder über eine Schwelle zu stolpern, auszublenden. Dann kletterte ich auf der anderen Seite die Böschung wieder hinauf. Allie war nicht weit, als ich oben ankam. Sie saß auf halbem Weg den flachen Hügel hinunter, die Arme um die Knie gelegt. Als ich mich neben ihr niederließ, rutschte sie schuldbewusst hin und her.
    »Es tut mir leid, Nick«, sagte sie, bevor ich böse werden konnte.
    Ich seufzte auf. »Allie …«
    »Es war falsch, was ich getan habe. Es tut mir leid.«
    »Welcher Teil?«, fragte ich bitter.
    Eine ganze Weile antwortete sie nicht. Auf dem Brachland unter uns glitzerte die blasse Sonne auf einem sumpfigen Fleck am kleinen Bach. Schmutzige Zweige ohne Blätter hingen träge über seinen Lauf, garniert mit Plastiktüten und Fähnchen aus weiß Gott was. Irgendwie war es hübsch.
    »Ich konnte nicht in die Schule gehen«, sagte Allie. »Wegen
des Jahrestages und weil die Lehrer von einer Art Zeremonie gesprochen haben, und das hätte ich nicht ausgehalten. Aber Aidan war böse auf mich, deshalb bin ich losgezogen, um zu stehlen, nur um ihn zu ärgern.«
    Mich beschlich ein ungutes Gefühl und meine Nackenhaare sträubten sich.
    »Aber es tut mir leid, dass ich über die Gleise gelaufen bin. Das hätte ich nicht tun sollen. Ich wusste, dass du hinter mir her bist, und als ich hier war, habe ich mir

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