Road of no Return
bevor Allie ihren imaginären Freund mitbrachte. Lola Nan stammte aus einer Generation, die glaubte, es gebe nichts Schöneres, als an einem einsamen Strand zu sitzen, wo einem der Wind den Sand in die Augen bläst, die Möwen einem das Essen streitig machen und die Kälte einem eine regelrechte Echsenhaut verursacht. Dad stocherte in dem Einweggrill herum, als ob die Würstchen schneller braun oder gar genießbar würden, wenn man sie mit einem Stock pikste. Sein Blick glitt dabei ständig zur Kühltasche, und gelegentlich auch seine Hand. Es versteht sich von selbst, dass die Würstchen anbrannten.
Mum schmierte Brötchen. Sie schützte ihre Augen mit der Hand vor der nicht scheinenden Sonne, damit sie mich nicht
direkt ansehen musste, und fragte fröhlich: »Nick, könntest du Dad bitte helfen?«
Ich tat so, als hätte ich sie nicht gehört. Dad ebenfalls. Er pikste weiter die Würstchen, und ich wandte mich wieder Lola Nan zu. Der breite Strand war fast menschenleer, doch ich kam mit der vorgetäuschten Taubheit durch, denn Lola Nan und ich saßen etwas höher in den Dünen, den Wald hinter uns, und vor uns breitete sich die ganze seidige Pracht des Meeres aus, das wir schweigend bewunderten. Mum wollte lieber, dass sie weiter unten im flachen Sand beim Grill saß, doch ich hatte auf den Platz oben bestanden. Lola Nan und ich hatten eine schöne Aussicht, die nur durch die Gestalten von Mum und Dad im Rauch des Grills gestört wurde.
Ich lag neben Lola Nans Klappstuhl. Das war so ein Leinenstuhl mit kleinen Taschen an der Seite, in die man seinen Drink stecken konnte. Ich hatte mir ein Bier aus der Kühltasche geklaut. (Dad hatte zwar moralisch nichts dagegen einzuwenden, dass ich Alkohol trank, aber er war damit ziemlich geizig.) Lola Nan trank verdünnten Orangensaft aus einer Schnabeltasse.
Ich hasste meine Eltern dafür.
Aber ihr schien es nichts auszumachen. In ihrem geblümten Kleid und dem breitkrempigen weißen Hut wirkte sie fast glücklich und murmelte unzusammenhängendes Zeug, während sie zusah, wie die Wellen an den Strand brandeten und die Möwengangster sich zankten. Ich glaube, sie amüsierte sich. Ihre rechte Hand schwebte über der Leinenlehne des Stuhls und tätschelte das unsichtbare Luftkissen. Nach einer
Weile kippte ihr Kopf zurück, der Mund klappte auf und sie begann zu schnarchen.
Ich legte ihr ein zusammengefaltetes Handtuch unter den Kopf, damit er nicht von dem zarten, faltigen Hals brach, als Allie unsere Düne hinaufgelaufen kam und mit einem Hotdog winkte. Als Lola Nans Kopf nach vorne fiel und fast von ihrer flachen Brust abprallte, gab ich auf und nahm das Brötchen.
Allie grinste. »Mir ist kalt. Verdammt kalt. Warum besteht Mum auf das hier?«
Ich setzte mich in den Sand und sie ließ sich neben mir nieder und kuschelte sich in meinen Arm. Ich legte ein Handtuch um uns und biss in das Brötchen. Das war gut. Nur ich und Allie und eine komatöse Lola Nan. Keine Mum, kein Dad und kein dämlicher Aidan.
»Ich weiß«, sagte ich. »Und sie wird darauf bestehen, dass Lola Nan baden geht. Es wird Ewigkeiten dauern, sie da runterzubringen. «
»Ich werde mich zu gegebener Zeit diskret verziehen. Auf keinen Fall setze ich einen Fuß in dieses Wasser. Wie kommt Mum darauf, dass uns das Spaß macht?«
»Na ja, Lola Nan macht es Spaß«, gab ich zu.
»Wahrscheinlich.« Allie verzog das Gesicht. »Und wahrscheinlich fördert es das Gemeinschaftsgefühl. In der Familie. «
»Ha!«, machte ich düster, als ich sah, wie Dad eine weitere Flasche aufmachte.
Sie kicherte leise, stopfte sich den Rest ihres Brötchens in den Mund und wischte sich Sand und Krümel von den Fingern.
»Wir gehen dann mal. Komm mit! Bis später, Nick! Viel Spaß beim Planschen!«
Wir gehen dann mal. Wir gehen dann mal. Bis später, Nick. Komm mit!
Irre. Blöde kleine Kuh. Da man mich wegen eines Phantoms verlassen hatte, warf ich den Rest meines Brötchens in Richtung Meer. Eine Möwe schnappte es sich im Flug und wurde sofort von drei weiteren attackiert. Mum musste auch ein paar davon abwehren, als sie in ihren paillettenbesetzten Flipflops die Düne hinaufgewatschelt kam.
»Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag, Lola Nan!« Ihr Gesicht zeigte ein professionell herzliches Lächeln und in der Hand hielt sie eine Geburtstagstorte aus dem Supermarkt. Eine Ballerina in lila Zuckerguss. Die Geburtstagzahl war abgekratzt worden, man sah nur noch eine rosa Spur, wo zwischen Happy und Birthday eine 5
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