Road of no Return
geklebt hatte.
Na ja, es war nett gemeint. Und Lola Nan würde es nicht merken.
Schmatzend wachte sie auf.
»Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag«, wiederholte Mum und versuchte, ihr fröhliches Lächeln aufrechtzuerhalten.
»Wo ist der Junge?« Lola Nan umkrallte die Armlehnen des Klappstuhls. »WO IST DER JUNGE?«
Oh verdammt! »Ich bin hier, Lola Nan!« Ich stand auf und nahm Mum den Kuchen ab. »Hier. Herzlichen Glückwunsch!«
»Hmmpff.« Sie sah mich an wie ein trotziges Kleinkind, dann begann sie plötzlich zu strahlen. »Darf ich auch Kuchen haben?«
»Klar darfst du. Ist doch dein Geburtstag«, erklärte ich.
Mum hatte natürlich das Messer vergessen. Ich packte mit den Fingern in den Kuchen und riss ein großes Stück heraus. Erfreut griff Lola Nan danach.
Aus dem Augenwinkel sah ich, wie sich Mums Blick verfinsterte, aber sie biss sich auf die Lippe und zwang sich zu lächeln.
»Du bist ein guter Junge«, erklärte Lola Nan durch Biskuit und lila Zuckerguss hindurch.
Mums Gesicht verdüsterte sich weiter.
»Dir liegt etwas an mir, stimmt’s?«, mümmelte Lola Nan. »Nicht so wie die . Die kann nicht mal …«
»Wo ist denn bloß Allie?«, rief ich fröhlich. »Sie möchte bestimmt auch etwas KUCHEN!«
In Mums Augenwinkeln glitzerten Tränen. Mist. »Allie!«, rief ich verzweifelt.
»Wo ist der Junge ?«, schrie Lola Nan.
»Hier!« Ich wandte mich ihr wieder zu und sie griff nach meinen Händen, als wolle sie sie aus den Gelenken reißen.
»Manchmal kann ich einfach nicht …«, begann Mum weinerlich.
»ALLIE!«, brüllte ich.
»Komme schon! Augenblick!« Sie rannte am Wassersaum entlang auf den trockenen Sand. Und gerade, als ich dachte, sie wolle mir zu Hilfe kommen, blieb sie stehen, drehte sich um und lachte laut auf. Sie bückte sich nach einer Handvoll Sand und warf sie.
»Aidan! Lass das!«
Mum erstarrte. Ich erstarrte. Dad ließ die Grillgabel in den Sand fallen und Lola Nan lächelte zufrieden vor sich hin.
»Aiiidaaaaan!«, kreischte Allie.
»Kuchen!«, rief Mum fröhlich und blinzelnd.
In diesem Augenblick sah ich zwei Mädchen den Strand entlangkommen. Etwas Windhundähnliches sprang neben ihnen in den Wellen herum. Den Hund kannte ich, ich hatte ihn schon früher gesehen. Ginas Hund. Was erklärte, warum Gina und das andere Mädchen stocksteif stehen blieben und Allie anstarrten. Das andere Mädchen war Orla. Sie stand einfach starr da, während Allie ihren unsichtbaren ermordeten Bruder mit Sand bewarf und kichernd seinen Namen rief.
Gleich darauf packte Gina Orlas Arm und zog sie in die Richtung zurück, aus der sie gekommen waren, doch als Orla sich umwandte, sah sie zu uns hinüber. Ich konnte sie nicht sehr deutlich erkennen, aber ich spürte ihren Blick wie einen Laser im Genick. Ich schluckte und machte einen Schritt in ihre Richtung. Verächtlich warf sie den Kopf zurück und ging davon, und ich sah ihr nach, während ich meine Schwester begeistert mit einem toten Jungen lachen und kreischen hörte, der ihr nicht antworten konnte.
Aidan war tot und begraben, aber Allie wollte ihn nicht gehen lassen, und ich konnte nichts dagegen unternehmen. Mir war schlecht vor Schamgefühl und Hilflosigkeit und Müdigkeit, denn nach unserem Familienausflug konnte ich zwei Nächte lang kaum schlafen. Am Montag suchte ich nach Orla, um mich für das Verhalten meiner Schwester am Strand zu entschuldigen. Das war wenigstens der Grund, den ich vorschob.
Der arme Aidan. Irgendwie benutzten wir ihn alle noch.
Orla hing nicht mit ihrem Gefolge in den Gängen herum und sie war nicht draußen auf dem Schulgelände. Schließlich fand ich sie auf der anderen Seite des Drahtzauns, wo wir eigentlich nicht hin durften (aus Gründen der Gesundheit und der Sicherheit). Sie saß an einem verkümmerten Baum an der Böschung des Baches (der in der Tat sehr ungesund war und keineswegs sicher). Es war derselbe Bach, der auch durch Allies Lieblingsgelände sickerte und auf dem Weg bis zur Schule wurde er nicht gerade ansehnlicher. Zwanzig Meter weiter wurde er in einer Betonröhre aufgefangen, die aussah wie das Maul eines Wals, versperrt mit einem rostigen Eisengitter, in dem sich Plastiktüten und Fast-Food-Schachteln verfangen hatten.
Orla merkte, dass ich kam, sah aber nicht auf. Ohne ihre Clique wirkte sie nicht halb so Furcht einflößend, daher stieg ich die Böschung hinunter und näherte mich so weit, dass ich den Buchtitel lesen konnte. Etwas von Albert Camus.
»Sind da Bilder
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