Road of no Return
trunken vor Freude, zurück.
Ganz vorne stand ein Junge, der alles mit seiner Handykamera
gefilmt hatte. Mit einem Knurren riss Sunil ihm das Telefon weg und steckte es ein, und der Junge sagte lieber nichts. Meinetwegen, dachte ich stolz. Sie hatten Angst. Wir besaßen den Respekt der ganzen Schule, ich, Kev, Sunil und die anderen. Ich wusste, was mein fasziniertes Publikum dachte, und das machte mich fast trunken. Wenn ich das einem Jungen antun konnte, der einmal mein Freund war, wovor würde ich dann noch zurückschrecken, fragten sie sich. Also nehmt euch vor diesem Kerl lieber in Acht. Seid vorsichtig. Macht euch Nick Geddes nicht zum Feind, auf keinen Fall. Niemals, José. Ich schwöre, die Stimme in meinem Kopf hatte einen leichten New Yorker Akzent.
»Oh mein Gott!«
Es war die angewiderte Stimme eines Mädchens, die die Stille durchschnitt und meinen Bann des Schreckens brach. (Ich meine, für wen hielt ich mich? Den großen Sauron?)
Orla Mahon, brutal schön, stand mit einem halben Dutzend Büchern im Arm da und klopfte mit ihren schwarzen Fingernägeln auf die Buchrücken. Ihre Verachtung durchlöcherte meinen angeschwollenen Stolz und ließ alles Adrenalin auf einmal aus meinem Körper entweichen. Meine irre Hochstimmung verflog und wurde ersetzt von einem Schwindelgefühl und den ersten Anzeichen von Verlegenheit. Ihre schwarz umrandeten Augen waren auf mich geheftet, während sie ihren Kaugummi wälzte. Obwohl sie Calum mit einer Spur von Mitleid betrachtete, machte sie doch keine Anstalten, ihm zu helfen. Sie wandte sich lediglich auf dem Absatz um und stöckelte davon, ihre Freundinnen im Schlepptau.
Als Nächster ging ihr jüngerer Bruder Aidan, und ihm folgten seine Freunde. Dann gingen auch alle anderen. Manche von ihnen sahen mich an, manche den immer noch zusammengekrümmten Calum, wieder andere taten, als hätten sie gar nichts gesehen. Hatte ich da etwas verpasst? Ich konnte nicht viel Bewunderung oder Respekt erkennen. Nicht einmal Hass. Nur Ablehnung, nichts anderes. Ablehnung, deutlich gedämpft durch Angst.
»Du solltest den kleinen Pisser nicht gleich umbringen«, meinte Sunil. »Aber er hat es ja so gewollt.«
»Ja. Gut, Mann«, befand Kev zustimmend und warf mir den iPod wieder zu.
Irgendwie begeisterte mich Kevs Lob nicht wirklich. Ich fragte mich, ob ich mich über Mickeys Lob mehr freuen würde. Ich war mir auch nicht sicher, ob Calum es tatsächlich herausgefordert hatte. Er rappelte sich hoch und humpelte davon, solange er noch die Gelegenheit dazu zu haben glaubte. Ich konnte das nicht mitansehen, ich konnte ihn nicht mehr ansehen, also wandte ich mich ab.
Und da stand Allie.
Ich dachte, ich hätte Halluzinationen. Genau in diesem Augenblick erinnerte ich mich daran, dass sie gesagt hatte, sie würde mich von der Schule abholen, weil sie mir etwas zeigen wollte. Die Erinnerung traf mich wie eine Faust in den Magen, und ich fluchte, doch irgendwie kam kein Laut hervor.
Auch sie brachte keinen Ton hervor. Ihre dunklen Augen suchten meine, doch sie sagte kein Wort. Stattdessen trat sie einen Schritt zurück, dann noch einen. Sie drehte sich um
und lief direkt auf die Straße, wo ein Opel kreischend bremste und hupte, doch sie zuckte nicht einmal. Erst auf der gegenüberliegenden Straßenseite begann sie zu rennen.
»Allie !«, schrie ich.
Als ob das ihre Meinung ändern und sie zurückkommen würde. Ich rannte ihr nach, doch sie wollte nicht eingeholt werden, also schaffte ich es auch nicht.
Als ich erschöpft und erschrocken nach Hause kam, war sie nicht da. Dad brüllte mir hinterher, als ich die Treppe hinaufstürmte, wo Allie sei und ob sie sich nicht mit mir hatte treffen wollen?
Ich konnte ihm nicht antworten, sondern rannte nach oben ins Bad, kniete mich auf den lila Flokati vor dem Klo, umarmte den dazupassenden, mit lila Flokati bezogenen Sitz und übergab mich.
Ich war nicht mehr Nick-artig, ich war Kev-artig. Ich legte den Kopf in die Hände, betrachtete den lila Flokati und kotzte weiter.
Heute
5
Ich hatte gehofft, der Besuch von Aidans Mutter hätte Allies Gewissen geweckt oder sie zumindest dazu gebracht, dass sie sich schämte und etwas diskreter war. Doch keineswegs. Zwei Tage später, am Wochenende, hatte Lola Nan Geburtstag. Es war Familientradition, diesen Geburtstag am Strand zu feiern, also musste der dämliche Aidan natürlich auch mit.
Es war an sich schon eine blöde Tradition, und in den letzten Jahren war es immer blöder geworden, schon
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