Robbins, Harold - Träume
vielleicht jemand, wo Bruder Jonathan ist?«
»Frieden und Liebe«, erwiderten sie wie im Chor meinen Gruß.
Der Mann in meiner unmittelbaren Nähe beantwortete meine Frage mit einer Gegenfrage. »Ist er denn nicht in seinem Büro?«
»Nein.«
Sie wechselten Blicke miteinander. Dann erklärte der junge Mann:
»Ich werde ihn für Sie suchen.«
»Ich möchte Sie nicht bei der Arbeit stören. Sagen Sie mir nur, wo ich ihn finden kann.«
»Sie stören nicht. Wahrscheinlich ist er im Labor.«
»Labor?«
Er lächelte. »So nennen wir hier die Kapelle.« Ich folgte ihm in den Eßsaal. »Wenn Sie hier bitte warten wollen«, sagte er. »Ich bin gleich wieder da.«
Ich fischte eine Zigarette hervor. Einige Minuten später kam er allein zurück.
»Bruder Jonathan bittet um Entschuldigung, weil er Ihnen nicht zur Verfügung stehen kann«, sagte er. »Aber er ist gerade damit beschäftigt, jemanden durch die Umwandlung zu geleiten und kann deshalb nicht kommen.«
»Wie lange wird das dauern?«
»Das weiß man nie«, erklärte er. »Manchmal braucht es nur zehn Minuten, aber es kann auch an die drei Tage dauern.«
Ich überlegte einen Augenblick. »Würden Sie mir eine Frage beantworten?«
»Natürlich.« Der junge Mann lächelte. »Wir sind alle hier, um zu helfen und zu dienen.«
»Was geschieht, wenn ein Kandidat es für die zweite Ebene nicht schafft?«
»Nichts weiter. Aber das ist noch nie vorgekommen. Wir sind alle fest entschlossen, unser Ziel zu erreichen.«
»Aber wenn ein Kandidat es sich anders überlegt, kann er dann nach Hause zurückkehren?«
Er lächelte wieder. »Wir sind hier ja keine Gefangenen. Wir sind aus freiem Entschluß hergekommen, und es bleibt ganz uns überlassen, ob wir bleiben oder wieder gehen.« Aus seiner Hemdtasche zog er etwas, das er mir reichte. Ich sah, daß es ein Flugticket war. »Das bekommt jeder von uns nach seiner Ankunft hier. Und er soll es stets bei sich tragen. Damit er sich immer bewußt ist, daß er jederzeit von hier fort und nach Hause fliegen kann.«
Ich warf einen Blick auf das Ticket. Es war für einen Flug nach Chicago ausgestellt, mit offenem Datum. Ich gab es ihm wortlos zurück.
Er steckte es wieder ein. »Keiner von uns hat das Ticket je gebraucht«, versicherte er stolz.
»Danke«, sagte ich. »Frieden und Liebe.«
»Frieden und Liebe«, antwortete er.
Fast schon an der Tür, drehte ich mich noch einmal zu ihm um. »Beinahe hätte ich’s vergessen«, sagte ich. »Ich wollte Bruder Jonathan noch um ein paar von den Joints bitten, die ihr hier fabriziert. Die im gelben Papier.«
»Kein Problem.« Er zog drei Joints aus seiner Brusttasche und reichte sie mir. »Genügt das?«
»Ich will Ihnen nicht die letzten wegnehmen«, erklärte ich.
»Ich kann jederzeit mehr bekommen. Wir erhalten vier Stück pro Tag.«
Ich steckte die Joints ein. »Nochmals vielen Dank.«
»Gern geschehen. Frieden und Liebe.«
»Frieden und Liebe.« Ich trat hinaus und stieg ins Auto. Kein Wunder, daß es hier nie Abtrünnige gab. Mit vier von diesen Stengeln pro Tag schwebten die auf Wolken. Und wer, der auch nur leidlich bei Troste war, wollte schon den Himmel verlassen?
Marissas Stimme durchbrach meine Gedanken. »Wohin jetzt?«
»Zurück zum Hotel.« Wenn wir wieder in Los Angeles waren, würde dies meine erste Tat sein: die Joints zwecks Analyse in ein Labor schicken. Ich hätte fast meinen Kopf darauf verwetten mögen, daß in den Dingern mehr war als nur Marihuana. Falls ich mit meiner Vermutung recht behielt, würde ich Reverend Sam ins Bild setzen. Er sollte und mußte erfahren, was in dieser seiner Klause vor sich ging.
Als wir im Hotel anlangten, war es bereits vier Uhr vorbei, doch Lonergan hatte sich noch immer nicht sehen lassen.
Während wir an der Rezeption standen, fragte ich Marissa: »Schließt du dich uns zu einem Drink an?«
»Ich sehe wohl besser zu, daß ich erst mal hinaufkomme ins Büro«, erwiderte sie. »Ich war ja den ganzen Tag fort, und da häuft sich alles immer gleich so an.«
Ich nickte. »Dann heute abend beim Dinner?«
Sie lächelte. »Natürlich.«
Mir kam ein Gedanke. »Könnte ich das Dinner im Bungalow serviert haben? Ich bin’s ein bißchen leid, in Gesellschaft so vieler Menschen zu essen.«
»Du kannst alles ganz nach Wunsch haben. Sag mir nur, wann du das Essen möchtest und für wie viele Leute.«
»Nur wir drei«, erklärte ich.
»Schon gemacht.«
»Noch etwas. Könntest du dafür sorgen, daß morgen nachmittag
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