Robbins, Harold - Träume
Sekretärin. Ich hab eine Sekretärinnenschule besucht.«
»So? Können Sie Stenographie?«
»Nicht besonders. Aber tippen kann ich enorm schnell. Achtzig Wörter pro Minute.« Sie strich sich das lange braune Haar aus dem Gesicht. »Und aufs Ablegen und so versteh ich mich auch.«
»Wie heißen Sie?«
»Denise Brace.«
»Wo wohnen Sie?«
»Im Workshop.«
»Wie alt sind Sie?«
»Siebzehn. Nächsten Monat werde ich achtzehn.«
»Warum wohnen Sie nicht zu Hause?«
Ihre dunklen Augen begegneten meinem Blick. »Ich wurde schwanger. Mein Vater warf mich raus. Reverend Sam nahm mich auf und kümmerte sich um mich.«
»Was wurde mit dem Baby?«
»Reverend Sam sorgte dafür, daß es adoptiert wurde. Das war die beste Lösung. Ich war erst sechzehn, als es passierte.«
»Und seither sind Sie im Workshop?«
Sie nickte. »Reverend Sam ist wunderbar zu mir, zu uns allen. Er möchte nur, daß wir glücklich sind und dem Herrn dienen.«
»Und wenn ihr arbeitet, gebt ihr ihm euren gesamten Verdienst?«
»Nicht ihm. Dem Workshop.«
»Behaltet ihr denn gar nichts für euch?« fragte ich neugierig.
»Wozu?« Ihr junges Gesicht wirkte sehr ernst. »Ich brauche nichts. Alles, was wir brauchen, gibt uns ja der Workshop.«
»Gibt es noch viele wie Sie im Workshop?«
»Etwa sechzig oder siebzig. Mehr Mädchen als Jungen.«
»Und die halten’s alle genauso wie Sie? Liefern all ihr Geld für den Workshop ab?«
Sie nickte.
»Was tut ihr, wenn ihr nicht arbeitet?«
»Wir verbreiten Gottes Liebe. Wir verkaufen Traktate und Flugblätter. Wir machen uns immer nützlich.«
»Und das ganze Geld bekommt Reverend Sam?«
»Nicht Reverend Sam. Er ist an Geld nicht interessiert. Die Kirche und der Workshop bekommen es, um gute Werke zu tun.«
Lonergan hatte recht. Mit dem, was Reverend Sam da betrieb, stach er uns wohl beide aus. Ich betrachtete ihr klares, offenes Gesicht. »Du bist ein bildhübsches Mädchen, weißt du das«, sagte ich.
»Danke.« Sie lächelte. Immerhin: ohne eine gewisse Koketterie war ihr Lächeln nicht.
»Ich weiß nicht, ob ich dich für mich arbeiten lassen könnte«, fuhr ich fort. »Das wäre vielleicht allzu verführerisch. Es könnte nämlich sein, daß ich dich lieben will.«
»Das würde mir gefallen«, sagte sie nur. »Ich meine, richtig lieben. Nicht nur Küssen und Knutschen.«
»Ich weiß schon.«
»Und was ist mit Reverend Sam? Gilt so etwas nicht als Sünde?«
»Nein, bei ihm nicht. Er predigt, daß unser Körper genauso Bedürfnisse hat wie unsere Seele und daß man mit beiden Liebe ausdrücken kann.«
Ich überlegte einen Augenblick. »Gibt’s viel Sex im Workshop?«
»Nein, nicht sehr viel. Nur zwischen denen, die einander mögen.«
»Hast du keine Angst, wieder schwanger zu werden?«
Sie lachte. »Keine Gefahr. Die Oberschwester sorgt dafür, daß wir jeden Morgen beim Frühstück die Pille schlucken, und wer sie nicht verträgt, bekommt ein Pessar.«
»Und Reverend Sam? Geht der mit einem der Mädchen?«
»Nein. Reverend Sam steht über all dem. Er lebt auf einer höheren Ebene.«
»Willst du damit sagen, daß er Sex verschmäht?«
»Nein, das will ich nicht damit sagen. Wir leben alle auf verschiedenen Ebenen. Ich lebe auf der fünften Ebene. Ich darf Beziehungen zu anderen haben, denen es schon gelungen ist, die dritte Ebene zu erreichen. Aber mit Reverend Sam können nur solche auf der ersten oder der zweiten Ebene körperliche Beziehungen haben.«
»Verstehe. Und was braucht’s, um auf die anderen Ebenen hinaufzugelangen?«
»Gute Werke. Ergebenheit für die Kirche. Vollständige Aufrichtigkeit in den Beziehungen zu anderen.«
»Das ist alles?«
Sie nickte.
»Aber dein Geld mußt du auch noch abliefern.«
»Nein«, widersprach sie rasch. »Das müssen wir nicht. Wir tun es, weil wir’s tun wollen.«
»Würdest du das auch noch tun, wenn du den Job bei mir hättest?«
»Ja«, sagte sie. Ihre dunklen Augen schienen in meine zu tauchen. »Darf ich etwas fragen?«
»Sicher.«
»Ich weiß, daß Bobby Sie liebt. Und die Verita wohl auch. Und Sie - lieben Sie beide?«
»Ich weiß nicht, ob ich sie liebe«, sagte ich. »Jedenfalls habe ich beide sehr gern.«
»Ich würde gern mit Ihnen Sex haben. Glauben Sie, das könnte mal sein?«
Ich gab keine Antwort.
»Den Job müßten Sie mir deshalb nicht geben«, erklärte sie hastig.
»Das ist es nicht.«
»Was ist es dann?«
»Du bist für mich, na, sagen wir mal, nicht so leicht erreichbar. Zum einen lebst du
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