Robert Enke
verkaufen wollte, stellte Jacques Gassmann eine erstaunliche Bedingung. Er würde in
den ersten Monaten nach dem Verkauf noch in dem Haus wohnen bleiben. Er benötige Zeit, eine neue Bleibe zu finden, er hatte
noch gar nicht danach zu suchen begonnen.
Er war Künstler.
Künstler waren wohl so, dachte sich Robert Enke, sie betrachteten die Welt mit anderem Blick, daraus entstanden dann großartige
Kunstwerke und kuriose Forderungen beim Hausverkauf.
Was Teresa und ihn beschäftigte, als sie sich Jacques Gassmanns umgebauten Bauernhof auf dem flachen niedersächsischen Land
angesehen hatten, war weniger dessen Künstlerseele als vielmehr die Frage, welche Künstler sie waren.
»Mensch, so kauft man doch kein Haus, oder?«, fragte sich Teresa. Ein einziges Objekt anschauen und zusagen.
»Warum eigentlich nicht?«, fragte Robert und wartete auf ihr helles Lachen in der Gewissheit, dass es schon auf dem Weg war.
Sie hatten immer zur Miete gewohnt. Nun waren sie seit einer Woche zurück in Deutschland. Einen Tag nach der Vertragsunterzeichnung
bei Hannover 96 bestritt Robert bereits das erste Testspiel, der Rhythmus des Profisports absorbierte ihn sofort wieder, Training
vormittags, Testspiele, Training nachmittags. Teresa war hochschwanger. Je früher sie ein Zuhause fanden, desto besser.
Mit sicherem Geschmack und Liebe zum Detail hatte Jacques Gassmann den Bauernhof umgestaltet, aus dem Pferdestall war eine
Küche mit französischem Fliesenboden geworden, in der Diele hing ein Kronleuchter über einem langen Bauerntisch. Auf |261| die Kosten hatte Gassmann beim Umbau wenig geschaut, er fand, ein Künstler sollte versuchen, immateriell zu leben. Nun musste
er das Haus verkaufen. Aber er wusste doch noch gar nicht wohin, mit all seinen Bildern!
In all seiner Eigentümlichkeit schien er ein sympathischer Mann. Teresa und Robert kauften den Hof mit dem Künstler. Gassmann
sollte noch drei Monate bei ihnen wohnen dürfen und sich in dieser Zeit in Ruhe ein neues Zuhause suchen.
Durch das große Fenster des kleinen Wohnzimmers konnte Robert Enke den Künstler beim Malen im Garten beobachten. Einmal trat
er hinaus. Er schlich sich heran, Künstler störte man nicht bei ihrer Arbeit. Still stand er in Jacques’ Rücken. Die grauen
Haare fielen dem Künstler auf die Schultern. Jacques fuhr zusammen, als er Robert plötzlich hinter sich bemerkte.
Der Torwart hatte einige Fragen. Woher kam die Düsterheit in Jacques’ Bildern, warum war immer alles schwarz, verwischt, übertüncht?
Aber wie konnte er als Fußballer dem Künstler diese Fragen stellen? Er glaubte, er müsse sich mit normalen Fragen herantasten,
Fragen, die ihm gestattet waren. Er fragte Jacques, wie das eigentlich mit der Heizöllieferung für das Haus funktionierte,
ob Jacques ihnen vielleicht einen Tierarzt empfehlen konnte, er hatte doch auch eine Katze, und wie hatte Jacques das überhaupt
hinbekommen, jeden Monat 6000 Euro an Darlehen und Nebenkosten aufzubringen, als Künstler? Wenn er Glück hatte, wenn es so
kam, wie er sich erhofft hatte, erzählte ihm der Künstler danach von seiner Kunst.
Gassmanns Zyklus
Apokalypse
hatte in den Neunzigern für einige Aufregung gesorgt, das Werk wurde quer durch Europa von Ausstellung zu Ausstellung gereicht,
einige Kritiker sahen eine Linie, Max Beckmann, Lukas Kramer, Jacques Gassmann. Danach malte er als Antwort auf den zweiten
Golfkrieg innerlich schreiende, seelisch explodierende amerikanische Bomberpiloten,
Supersonic
hieß die Serie, er konnte gar nicht aufhören. Als er aus dem Rausch aufwachte, hatte er 160 Bilder kreiert. »Wenn ich die
Kunst nicht hätte, würde ich explodieren, Robert, ich muss mich mit dem Pinsel auskotzen«, sagte Jacques. Sätze, verwegen
und schwer, wie man sie nach Jacques’ Ansicht |262| von einem Künstler erwartete. Die wirklichen Antworten aber konnte er Robert nicht geben. Er hatte sie für sich selbst noch
nicht gefunden. Roberts Tod brachte ihn darauf. »Was habe ich denn gemalt? Abgründe habe ich gemalt, Leute, die sich zerreißen«,
sagt Jacques Gassmann drei Monate nach Roberts Tod. »Endzeit war ein großes Thema in den Neunzigern, und ich malte noch Abgründe,
als die Neunziger vorbei waren. Ich habe es nie geschnallt, dass ich meinen seelischen Zustand darstellte.«
Im Garten in Empede, 400 Einwohner, das Steinhuder Meer beginnt gleich hinter dem Pferdeweg, legte Jacques seine Ölgemälde
zum Trocknen auf die
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