Robert Enke
Tore reingeschossen hatte. Zur Melodie des französischen Kinderlieds
Bruder Jakob
sangen sie: »Robert Enke, Robert Enke / weißt du noch? / weißt du noch? / kannst du dich erinnern? / kannst du dich erinnern?
/2:8, 2:8.«
|265| Da musste er lachen. Er applaudierte den Fans.
Er fing Flanken wie selbstverständlich ab, er ließ die Zuschauer vor Erstaunen aufschreien, als er zwei herzhafte Schüsse
von Dimitar Berbatov parierte. Beim zweiten Versuch tauchte Berbatov frei vor ihm auf, doch der Torwart, die Arme von sich
gestreckt, den Oberkörper gerade, das Knie nach innen gebeugt, erschien Berbatov plötzlich riesig. Hannover verlor in der
letzten Spielminute 1:2, und der
Kicker
wählte Robert Enke zum Mann des Tages. Die Sportreporter, die ihn nach Istanbul in absoluten Worten für gescheitert erklärt
hatten, fragten wie selbstverständlich, ob er wieder an die Nationalmannschaft denke.
Nach Heimspielen bat der Trainer die Elf noch im Stadion zum gemeinsamen Essen. Einer der Köche, die während des Spiels die
Logengäste bewirteten, tischte auf. Mit Messer und Gabel gelegentlich als Zeigestock analysierte der Trainer in einer Viertelstunde
das Spiel, zehn Minuten auf Deutsch, drei auf Spanisch, zwei auf Englisch, und wünschte guten Appetit. Lienen organisierte
auch einen Zoobesuch mit Frauen und Kindern, er glaubte daran, dass eine Mannschaft, die sich als Familie fühlte, die bessere
Elf war. Mit wem sich Robert Enke sofort verstand, war einer der Betreuer. Tommy Westphal musste sich darum kümmern, dass
der Spielberichtsbogen richtig ausgefüllt beim Schiedsrichter landete, dass beim Mittagessen im Hotel auch eine Suppe ohne
Sellerie bereitstand, dass die neuen Spieler einen Kindergarten und ein Handy fanden, sprich um alles. Tommy Westphal schaffte
es, hundert Kleinigkeiten an einem Tag zu erledigen, ohne eine zu vergessen, und trank fünf Kaffees in anderthalb Stunden,
vielleicht hing das eine mit dem anderen zusammen. »Wir fanden sofort eine Ebene, weil wir beide Ossis sind«, sagt Tommy mit
jenem Humor, hinter dem man ernste Themen versteckt. »Bei uns ist es ja wie bei den Jugos oder Afrikanern im Profifußball:
Wir bilden sofort einen Clan, um uns zu verteidigen.« Tommy registrierte, wie Robert vom ersten Spiel an sehr präsent innerhalb
der Mannschaft war, seine kollegiale Art prägte das Arbeitsklima. Nur Robert Enke selbst hatte das Gefühl, er bringe sich
nicht genug ein, er erfülle Lienens Hoffnungen, |266| eine Familienstimmung zu kreieren, nicht vollständig. Er hatte ein falsches Selbstbild von seiner Rolle im Team, weil er immer
verschwand, wenn die anderen nach dem Training zum Mittagessen gingen, und er generell den Profifußball nicht so intensiv
wie früher lebte. Lara war am 31. August 2004 auf die Welt gekommen.
Er hatte eine Idee von seiner Tochter im Kopf gehabt. Sie würde in der ersten Zeit viel medizinische Betreuung benötigen,
Teresa und er würden sie deshalb oft in den Arm nehmen und über Augenkontakt tausend Lächeln austauschen. Nun lernte er die
Wirklichkeit kennen.
Lara wurde unmittelbar nach ihrer Geburt am offenen Herzen operiert. Damit ihr winziger Körper eine Chance hatte, die Anstrengung
der Operation zu überleben, wurde sie in ein künstliches Koma versetzt. Ihr Brustkorb war noch geöffnet, das Herz brauchte
Platz, um abzuschwellen. Die Arme nach hinten geschlagen, lag sie auf der Intensivstation. Das Einzige, was Teresa und er
tun konnten, war, ihr Händchen zu halten und dem Herzen im offenen Brustkorb beim Schlagen zuzusehen. Laras Puls lag bei 210.
Der unbedingte Wille, ihrer Tochter helfen zu wollen, und die pochende Angst, sie zu verlieren, hielten Teresa und ihn im
permanenten Alarmzustand. »Als wir die Entscheidung trafen, Lara auf die Welt zu bringen, dachten wir, wir seien vorbereitet.
Um nicht falsch verstanden zu werden, ich würde auch heute immer wieder die Entscheidung für Lara treffen, da bin ich absolut
überzeugt. Aber ich weiß auch: Niemand ist auf das Leben mit einem kranken Kind vorbereitet«, sagt Teresa. »Die Angst frisst
dich auf.«
Nach vier Tagen wurde Laras Brustkorb zugenäht. Es ging voran, etwas wurde besser, sagten sie sich glücklich. Am nächsten
Morgen teilte ihnen die Krankenschwester mit, der Brustkorb müsse leider wieder geöffnet werden.
Wenn er morgens gegen neun zum Training aufbrach, fuhr Teresa in die Klinik der Medizinischen Hochschule. Während
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