Robert Enke
Wiese.
»Warte, Jacques, ich sperre Balu ein, nicht, dass er noch etwas kaputt macht«, sagte Teresa.
»Ach nein«, schmetterte Jacques. »Der kann bei mir hier draußen bleiben, das ist ein Künstlerhund!«
Balu litt an Staupe, einer Viruskrankheit, die das Gehirn zersetzt, er konnte sich nicht mehr kontrollieren.
»Ich würde mich wohler fühlen, wenn er nicht bei dir wäre.«
»Ach was. Wir verstehen uns, was, Balu, mein Künstlerhund.« Zehn Minuten später hörte Teresa einen Schrei aus dem
Garten.
»Das muss eure Versicherung bezahlen! Euer Hund ist über mein Bild gelaufen!«
Zum Training in Hannover ging Robert Enke jeden Tag in dem Gefühl, nach Hause zu kommen. Er war in einer Stadt, in der er
nie hatte wohnen wollen, in einem Verein, von dem er nie geträumt hatte, doch allein die Tatsache, nach fünf Jahren wieder
in Deutschland zu sein, überzeugte ihn, endlich angekommen zu sein. Zwei Jahre war er auf dem Meer gewesen. Mit Hannover würde
er vermutlich im hinteren Drittel der Bundesliga landen, aber das störte ihn nicht, damit würde er zurechtkommen. Ohne einen
handfesteren Grund als die eigene Lebensfreude war er sich sicher, »ich werde mich hier sehr wohlfühlen«.
Weil das Niedersachsenstadion für die Weltmeisterschaft 2006 umgebaut wurde, zog sich die Mannschaft zum Training in der Stadionsporthalle
um, es gab nur eine kleine Umkleidekabine, |263| der Trainer erhielt das Hausmeisterkabuff. Die neuen Kollegen waren verblüfft, als Robert Enke am ersten Tag durch die Kabine
ging und sich vorstellte. Er kannte nahezu alle mit Namen. »Du musst der Frankie sein, hallo«, »ach, du bist der Per«. Er
hatte sich die neue Mannschaft oft im Internet angeschaut.
Robert Enke mit den Hunden in seinem Haus in Empede. [19]
An ihn erinnerte sich nicht jeder in Deutschland.
»Welche Rückennummer soll ich ihm geben, die 25 oder 30?«, fragte einer der zwei Mannschaftsbetreuer den Trainer. »Die 1«,
sagte Ewald Lienen.
Lienen, der als junger Mann in der Friedensbewegung für die Verbannung von Pershing-Raketen und Abschaltung von Kernkraftwerken
marschiert war, besaß auch mit 50 seinen eigenen Kopf. Wenn die Fußballszene Enkes Flucht aus Istanbul als unprofessionell,
als Kneifen und Schwäche einschätzte, so empfand Lienen den Schritt als Zeichen von Stärke eines couragierten, empfindsamen
Mannes. Die Wahrheit kannte ja niemand.
Robert Enke redete in der Öffentlichkeit über seine Depressionen, ohne dass irgendjemand merkte, worüber er sprach. |264| »Das war eine negative Erfahrung, die nichts mit Fußball zu tun hatte, sondern einfach mit dem Wohlbefinden«, antwortete er
der
Neuen Presse
aus Hannover in seinem ersten Interview nach der Heimkehr auf die Frage, was denn in Istanbul los gewesen sei.
Wenn er an die Depression dachte, war er in der Lage, aus der eigenen Haut zu schlüpfen und mit Abstand und Selbstironie auf
den »Robbi mit dem kaputten Kopp« zurückzublicken, wie er den Menschen, der nicht er war, nannte. »Teneriffa war mein Kururlaub«,
sagte er. »Aber ich weiß, es hätte auch ganz anders laufen können. Ich war weg vom Fenster. Außer Lienen wäre wohl niemand
mehr auf die Idee gekommen, mich noch einmal in die Bundesliga zu holen. Dafür bin ich ihm sehr dankbar.«
Was die neuen Kollegen spürten, ohne es in Worte fassen zu können, war eine ungewöhnliche Natürlichkeit, die ihn wie eine
Aura umgab, diese Selbstverständlichkeit, den Beruf ohne Selbstinszenierung und Ellenbogen auszuüben. Das obligatorische Mannschaftsfoto
zu Saisonbeginn wurde geschossen, in der Mitte der ersten Reihe sitzt immer der Torwart, umgeben von seinen zwei Ersatzmännern,
es ist ein Machtritual, der König auf dem Thron, die Untertanen zu den Seiten. Robert Enke und der Ersatztorwart Frank Juric
entschieden, dem 21-jährigen Daniel Haas, dem dritten Torwart, dem Lehrling, den Platz auf dem Thron in der Mitte zu überlassen.
Die Geste behielt Robert Enke in all seinen Jahren in Hannover bei.
All die Entspanntheit und Freude konnte allerdings einen Gedanken nicht verhindern, als der Schiedsrichter die neue Bundesligasaison
anpfiff. War er noch gut genug für dieses Niveau? Es war fast zweieinhalb Jahre her, seit er das letzte Mal regelmäßig in
einer Ersten Liga gespielt hatte.
Hannover 96 musste bei Bayer Leverkusen antreten. Die Leverkusener Fans wussten noch, wer er war: der Torwart, dem ihre Elf
vor sechs Jahren in Mönchengladbach acht
Weitere Kostenlose Bücher