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Robert Enke

Robert Enke

Titel: Robert Enke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ronald Reng
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Mittellinie zum Elfmeterpunkt, der Torwart, der wartet. Für einen Moment existieren in einem
     voll besetzten Stadion nur diese zwei, Schütze und Torwart.
    Robert Enke hatte sein untrügliches Gespür für Elfmeter verloren. Noch in Lissabon war er für den
Record
Super-Enke gewesen, weil er in den ersten Monaten vier von sieben Elfmetern parierte, aber seitdem hatte er nur noch gelegentlich
     einen Strafstoß abgewehrt. Auch in Cottbus trafen die ersten vier Schützen gegen ihn. Er sah den fünften, Laurentiu Reghecampf,
     von der Mittellinie herannahen und wusste plötzlich, diesen Schuss würde er halten. Jeder Torwart weiß, einen Elfmeter zu
     halten ist selten eine Kunst, sondern ein Versagen des Schützen. Aber einen Elfmeter zu halten ist die einzige Möglichkeit
     für einen Torwart, einmal ein Held zu werden wie die Stürmer jeden Samstag. Eine einzige gelungene Aktion machte alles, was
     vorher gewesen war, unerheblich. Er hielt den Elfmeter von Reghecampf tatsächlich. Als Thomas Christiansen den folgenden |272| Schuss für Hannover ins Tor setzte und sie gewonnen hatten, lief Robert Enke so schnell er konnte zu Christiansen und hob
     den Torschützen in die Luft. So konnte niemand ihn auf Händen tragen. Ihm war nicht nach Fotos von ihm als gefeiertem Mann
     zumute.
     
    Jacques Gassmann, der entschieden hatte, dass er Leben ins Leben der Enkes bringen musste, hörte nicht auf, sie zu überraschen.
     Sie sollten mit ihm auf das Schützenfest von Empede gehen. Er wolle nicht, dass es ihnen so erging wie ihm, erklärte Jacques.
     Er war daran gescheitert, sich im Dorf zu integrieren.
    In Empede gibt es keinen Laden, nur eine Gaststätte, die
Ole Deele
. Bei Bundestagswahlen dient sie auch als Wahllokal. Die paar Häuser des Dorfs sind allesamt aus Klinkersteinen, die Landstraßen
     sind Alleen. Im Frühling blüht der Raps in den Feldern. Als im ersten Zeitungsartikel über Robert Enke beiläufig seine Hunde
     erwähnt wurden, schickte das Ordnungsamt unaufgefordert die entsprechenden Hundemarken; samt Rechnung.
    Der Künstler hatte in seiner Anfangszeit in Empede Zettel an den Laternenmasten aufgehängt,
offenes Atelier
,
ein Glas Wein
, »aber es kam kein Schwein«. Jacques war beleidigt.
    Auf dem Schützenfest stellte der Künstler nicht ohne Befriedigung fest: »Und jetzt glotzen sie alle: Wie, da kommt der schräge
     Gassmann mit dem Fußballstar?« Für eine tiefer gehende Dorfintegration kamen sie allerdings zu spät. Es war kurz vor neun
     am Abend. Dem Anschein nach war bereits seit einer Ewigkeit gefeiert und vor allem getrunken worden; die Gäste, die noch in
     der Lage waren, sich sachlich zu unterhalten, gerieten langsam in die Minderheit. Der Nüchterne unter Betrunkenen lernt, was
     Einsamkeit ist. Vor die Wahl gestellt, sich ähnlich zu betrinken oder den Rückzug anzutreten, saßen sie eine Anstandsstunde
     ab und verabschiedeten sich dann. Nächstes Jahr würden sie früher hingehen, sagte Teresa.
    Jacques, der glaubte, dass seine Hausherren euphorischer, lauter leben mussten, wunderte sich nun, dass sie das ruppige Schützenfest
     gar nicht so schlecht fanden. »Immer haben sie |273| Empede hochgehalten. ›Ist doch nett hier‹, sagten sie.« Jacques grollt, vielleicht spielt er es auch nur. »Aber die Post ging
     in Empede nun mal nicht ab. Als ich fortging, hätte ich am liebsten ein Schild im Dorf aufgehängt: Leben bringt nur Unruhe.«
     
    Es wurde Herbst, und sie lernten, dass auch Ausnahmesituationen Alltag werden, wenn sie länger andauern. In der Theorie hatte
     Lara nur drei Wochen auf der Intensivstation liegen sollen. Tatsächlich vergingen allein anderthalb Monate, bis sie aus dem
     künstlichen Koma geholt wurde, bis ihre Eltern zum ersten Mal erlebten, wie sich ihre Augen und Mund regten. Die Angst verließ
     die Eltern nicht, selbst wenn Laras Monitor eine hohe Sauerstoffsättigung anzeigte, wenn der Arzt sagte, wir können nicht
     ganz unzufrieden sein. Es gab immer ein anderes Kind auf der Station, das sie an die Zerbrechlichkeit des Lebens erinnerte.
     Eines Morgens war die Wiege neben Lara leer, »wo ist denn die Sandra?«, fragte Teresa und erhielt keine Antwort mehr. Sie
     weiß nicht mehr, wie oft sie den Tod eines anderen Kindes erlebten, dreimal, viermal? Aber sie schafften es, auch diesem Alltag
     seine schönen Momente abzuringen. Nach gut drei Monaten machten sie den ersten Ausflug mit ihrer Tochter. Sie schoben Lara
     im Kinderwagen auf den Balkon.
    Der

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