Robert Enke
um nicht angesprochen
zu werden, um einfach seine Ruhe zu haben.
Teresa saß dann mit Jacques in der Küche. Sie las Biografien von Künstlern, Monet, Picasso, Michelangelo, und so begannen
ihre Gespräche an den Küchenabenden manchmal bei den großen Meistern. Nicht selten endeten sie bei Jacques’ Weltansichten.
Er war zweimal geschieden, mit 25 Vater geworden, die erste Frau Dressurreiterin, die habe ihm erst einmal gezeigt, wie es
gehe, ran an die Kunstsammler, Galeristen, er dachte, er habe alles, Frau, Tochter, Dressurpferde, Haus, Erfolg, aber irgendwann
traute er sich in kein Restaurant mehr, in kein Flugzeug, alles, was er hatte, sperrte ihn ein, drückte ihn nieder. Jetzt
habe er nichts mehr und sei glücklich, schloss Jacques. Dann rauchte er noch eine Zigarette mit Teresa.
Jacques betrachtete seine Hausherren unter dem Eindruck seiner eigenen Geschichte. »Die beiden waren ein enges, gutes Paar.
Aber in ihrem Leben fehlte die Zärtlichkeit des Alltags.« Ist das denn nicht allzu verständlich, wenn dein Kind auf der Intensivstation
liegt? Na ja, sagt Jacques verlegen, so habe er das noch gar nicht gesehen – aber auf jeden Fall: »Ich hätte gesagt, dass |270| ich genau der Richtige für die beiden war. Ich riss sie aus diesem ›Fünf Kilo Kartoffeln, zwei Kilo Reis und was brauchen
wir noch‹-Alltag raus.«
Jacques Gassmann interessierte sich nicht für Fußball, als er Robert Enke kennenlernte. Später ging er regelmäßig mit Teresa
ins Stadion.
»Robert interessierte mich. Er hatte diese Nüchternheit, die nie plump war, sondern eigensinnig, wach, neugierig.« Der Künstler
wollte ihn im Spiel sehen und wissen, ob ein Spiel einen anderen aus einem Menschen machen konnte. »Im Tor hatte er etwas
Umfassendes. Fast Schwarzeneggerhaftes. Er machte keine Faxen, sondern schreckte die Stürmer durch Coolness ab. Aber wenn
er mich zur Begrüßung mal umarmte, dann spürtest du durch seinen massiven, im täglichen Training gestählten Körper eine erstaunliche
Wärme und Sanftheit.«
Zu seinem Geburtstag schenkte Jacques Robert ein Porträt. Ein mit schnellen schwarzen Strichen gezeichneter Kopf, darunter
kräftige Hände, die etwas rosafarbenes Rundes halten, auf den ersten Blick sieht es wie ein herausgerissenes Herz aus, es
ist aber ein Fußball.
Da ist Robert, da ist kein Tor
, nannte Jacques das Bild. Es geht nicht um Fußball in unserer Freundschaft, hieß das. Mit den Wochen jedoch wurde der Titel
zweideutig: Da war Robert, und da waren erstaunlich wenige Tore gegen Hannover.
Mitten in einer mittelklassigen Mannschaft wirkte Robert Enke geradezu merkwürdig gut. Er war in der Diaspora des internationalen
Fußballs gelandet und wieder der Torwart, den man sich auch in einer Spitzenelf vorstellen konnte. Nach ihrer Krankheit setzen
Depressive oft wie selbstverständlich ihren Weg fort.
Jörg Neblung kam zu Besuch, und sie nutzten die Gelegenheit, um zum ersten Mal nach Laras Geburt abends auszugehen, ins
Heimweh
. Ein paar Fußballspieler von 96 redeten öfter von der Lounge. Es war der 20. September 2004, Lara war fast drei Wochen alt.
Sie hatten Jörg etwas zu sagen. Sie wünschten sich, dass er Laras Patenonkel werde. Nur wann die Taufe stattfinden konnte,
vermochten sie ihm nicht zu sagen.
|271| Gegen elf waren sie schon zurück in Empede. Sie waren es nicht mehr gewohnt, lange aufzubleiben. Als sie gerade eingeschlafen
waren, klingelte Teresas Handy. Es war die Klinik. Lara hatte einen Herzstillstand erlitten.
Sie rannten los, im Wohnzimmer lag Jacques’ Dichterfreund. »Was ist denn los, ja, was ist denn los?«, rief der Dichter.
Als sie in der Klinik eintrafen, versuchten die Ärzte bereits seit einer Stunde, Lara zu reanimieren. »Wenn sie stirbt, gehen
wir aus Hannover weg«, sagte Teresa. Er nickte. So standen sie bis fünf Uhr morgens auf der Intensivstation. Fünf Stunden
hatten die Ärzte es immer wieder versucht. Dann war Lara wieder im Leben.
Robert Enke lag mehr, als dass er saß, auf einem Stuhl auf der Station und sagte tonlos: »Was machen wir eigentlich hier?«
In einem Tag sollte er mit Hannover 96 zum DFB-Pokalspiel nach Cottbus reisen.
»Robbi, fahr, was willst du hierbleiben, Lara hat es überstanden. Die Angst darf nicht unser Leben bestimmen.«
In Cottbus endete das Spiel 2:2. Ein Elfmeterschießen musste entscheiden. Elfmeterschießen ist das Urduell des Fußballs, der
lange Weg des Schützen von der
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