Robert Enke
Sättigungssensors, aber wie sollte sie noch wissen, ob er wirklich oder nur in ihrem Kopf tutete?
Permanent lief sie in Laras Zimmer, um nachzusehen. Sie war eine leidenschaftliche Schläferin gewesen, »sich abends ins Bett
zu kuscheln und zu lesen war immer das Schönste«. Seit Laras Geburt hat Teresa bis heute kaum eine Nacht durchgeschlafen. |279| »Es ist so tief in mir drinnen, dass ich immer aufwache.«
Nach Robert Enkes Tod entstand der einseitige Eindruck eines Mannes, der auf Teresas Liebe und Hilfe angewiesen war. Öfter
aber half er anderen, auch ihr.
»Du brauchst ihr nicht noch einmal die volle Portion zu geben, sie hat doch nicht alles rausgebrochen«, sagte er und führte
Teresa sanft von Laras Bett weg. »Ich gehe schon«, rief er, wenn sie wieder zwanghaft nach der Sauerstoffsättigung schauen
musste. »Ist bei 70 Prozent«, sagte er ihr, wenn die Sättigung bei 67 Prozent lag.
Am vierten Tag im Leben mit Lara zu Hause sagte er, vielleicht sollte es einen Sinn haben, dass ein Kind mit Laras Problemen
bei ihnen gelandet war, einem Paar ohne finanzielle Sorgen. Lass uns doch eine Krankenschwester für die Nächte engagieren,
selbst wenn die Krankenkasse die Kosten nicht übernehmen sollte.
Am 18. Februar 2005 kam die Nachtschwester zum ersten Mal. Es war Teresas Geburtstag.
»Und, was machst du heute?«, fragte Jörg am Telefon, nachdem er gratuliert hatte.
»Ich werde schlafen, endlich wieder schlafen. Das ist meine Geburtstagsparty.«
Mit Lara zu Hause begannen sie ein Dreivierteljahr nach ihrer Ankunft langsam das Land wahrzunehmen, in das sie zurückgekehrt
waren. An der Supermarktkasse in Neustadt kam Robert Enke mit dem Einpacken kaum hinterher, die Kundin hinter ihm blickte
ihn schon unwirsch an, das musste doch schneller gehen, sie verstand nicht, warum er lächelte. Das Lächeln galt gar nicht
ihr, sondern seinen Gedanken. Er erinnerte sich an den Supermarkt in Lissabon, wo alle in der Schlange stoisch gewartet hatten,
bis die Kundin ganz vorne ihr Schwätzchen mit der Kassiererin über das Himbeertortenrezept beendet hatte.
Sie waren keine Weltenbummler aus Überzeugung gewesen, der Zufall hatte sie fünf Jahre durch Südeuropa geführt. Die Zerrissenheit
des Heimkehrers spürten sie trotzdem. Sie vermissten das Licht Lissabons, das Geräusch der Wellen und das |280| Gefühl, zu Hause zu sein, wie sie es unter den Freunden in Sant Cugat erfahren hatten. Robert las im Internet oft in den portugiesischen
Sportzeitungen das Neueste von Benfica und, was er ungern zugab, in
El Mundo Deportivo
über Barça. Aber die Erinnerung an den Süden verdarb ihnen nicht das Wohlgefühl in Empede. Es war schön hier, die Weite der
Felder, die Ruhe des Waldes; es musste hier schön sein, wenn man mit seinem Baby ausgiebige Spaziergänge machen konnte, wenn
man bei vertrauten Nachbarn mal kurz klingeln konnte; wenn man tat und tun konnte, was normale Eltern wohl taten.
In ihrem Leben zwischen Intensivstation und Trainingsplatz hatten sie nahezu niemanden kennengelernt. Hannovers Stürmer Thomas
Christiansen und seine Frau Nuria waren einmal in die Klinik gekommen. Es zog Christiansen nach wenigen Minuten wieder hinaus.
Er hielt den Anblick nicht aus.
Mit Christiansen, einem Dänen mit spanischer Mutter, sprach Robert Enke beim Training aus Freude an der Sprache noch oft Spanisch.
Mittwochs, wenn die Mannschaft zweimal trainierte, blieb eine Gruppe Spieler nach Trainingsschluss noch zusammen. Sie hatten
wieder das Stadion bezogen, die Umbauten für die Weltmeisterschaft waren abgeschlossen, doch im Raum hinter ihrer Umkleidekabine
sah es alles andere als weltmeisterlich aus. Leere Getränkekisten stapelten sich in den Ecken, es roch nach Schuhcreme. Es
war Milles Reich. Zeugwart heißt in der Fußballsprache der Job von Michael Gorgas, dem Mille, er wartet das Zeug, pflegt die
Fußballschuhe, kümmert sich um die Sportkleidung. Mittwochs nach dem Training kochte er für die Profis in seiner Kammer Bockwürste
aus zugeschweißten Packungen. In seinem Kühlschrank hortete Mille Bier mit Zitronengeschmack. Kabine zwei nannten die Fußballer
seine Kammer. Hier entstand Erfolg.
Auf Platz zehn der Bundesliga schloss Hannover 96 Robert Enkes erste Saison ab, für den erfolgsentwöhnten Verein war dies
beachtlich. Der Trainer mit seinem scharfen Auge hatte Spieler gefunden, die eine Elf besser machten, Robert Enke, Per Mertesacker,
Michael Tarnat. Er
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