Robert Enke
den Enkes wohnte, hatte
er abends oft alleine mit Teresa am Küchentisch gesessen, weil Robert offensichtlich genug von ihm hatte. Nun sammelte Robert
Enke Jacques’ Post. Die Polizei schrieb ihm mehr als einmal, mal war der Künstler mit einem Mann in einer Autowaschstraße
handgreiflich aneinandergeraten, mal auf der A7 bei Fulda in eine Radarfalle geraten. Das Finanzamt musste ihn von Zeit zu
Zeit daran erinnern, dass es so etwas wie eine Steuererklärung gab. Jacques lebte zwischen Hannover und Polen. Die Post ging
weiterhin nach Empede.
»Wenn du ihm jetzt auch noch die Briefe hinterherträgst, lernt er es nie, dass man sich im Leben auch um manche Dinge kümmern
muss«, sagte Teresa zu Robert.
|288|
Robert und Teresa mit Lara im Märchensommer 2006. [22]
Er jedoch war fest entschlossen, seinem Künstler dabei zu helfen, das Leben zu ordnen. Gelegentlich rief er Jacques an, sie
müssten sich treffen, damit er ihm die Post geben könne. Einmal schickte er dem Künstler eine ellenlange SMS aus Saudi-Arabien,
wo er gerade zum Fußballspielen weilte. Er wollte ihn nur noch mal daran erinnern, am Montag laufe die Zahlungsfrist für einen
Strafzettel ab, 60 Euro, die Referenznummer sei … Seine SMS-Nachrichten an Jacques begann er jeweils mit »Großer Meister!«.
»Teilweise fand ich sein Engagement schräg«, sagt Jacques, »wäre es nicht einfacher gewesen, wenn er die 60 Euro für mein
Falschparken bezahlt hätte, statt SMS-Nachrichten aus Arabien zu senden?«
Jacques’ Einwände, es sei zwar lieb gemeint, aber er brauche sich wirklich nicht so gewissenhaft um seine Post zu kümmern,
wischte der Torwart zur Seite. »Jacques, du bist ein Chaot, wenn du das selbst machst, klappt es sowieso nicht.« Da glaubte
Jacques Gassmann begriffen zu haben, um was es Robert Enke wirklich ging. »Die Strafzettel waren seine Nabelschnur zu mir. |289| Er brauchte immer einen Anlass, einen Vorwand, um in Kontakt zu kommen. Und dann ging das Gezwitscher ja los.«
Sie hatten nichts, was sie verband, außer fünf gemeinsame, oft quälende Monate unter einem Dach. Wenn sie sich nun zur Postübergabe
trafen, redete Jacques Gassmann mit ihm über Fußballtorhüter, wovon er keine Ahnung hatte, und Robert Enke fragte nach der
Kunst, von der er nichts verstand. Jacques kaufte sich extra einen Fernseher, um ihn spielen zu sehen, Robert ging zur Ausstellung
Apokalypse
in der St. Johannis Kirche von Bemerode. Gerade weil Jacques so anders war, traf er ihn gerne; solange es nicht zu oft wurde.
Dem Künstler ging es ähnlich. Deshalb ärgert sich Jacques Gassmann, dass er Robert Enke das vielleicht Wichtigste nie erzählt
hat. Seine eigene Geschichte.
Er bekam ein Stipendium des Sprengel-Museums, die Medien berichteten, ein neuer Stern am Kunsthimmel sei aufgegangen. »Die
Leute sagten, jetzt hat er alles. Ich fand, ich hatte nur Druck.« Irgendwann schmerzte ihn die Brust, er glaubte, er habe
Lungenkrebs. Tatsächlich hatte er Brustmuskelkater vom Windsurfen. »Das Glück besteht eben nicht darin, ganz oben zu stehen«,
sagt Jacques Gassmann.
Sondern?
»Glück ist, zu erkennen, wie viel Druck kann ich ertragen. Glück heißt, dich von den Menschen zu lösen, die dich für etwas
verehren, was du nicht bist. Nicht zu versuchen, diesen Menschen zu gefallen. Nicht dauernd damit beschäftigt zu sein, souverän
zu wirken.«
Jacques Gassmann lebt nun in Würzburg. Die katholische Kirche ist sein großer Auftraggeber geworden. Später am Abend treffe
er sich noch mit dem Dompfarrer. »Der rockt«, sagt Jacques. Seine blaue Hose ist mit kleinen, weißen Farbtupfern gesprenkelt,
wer seinen Beruf nicht kennt, mag denken, das sei teures Design. »Das fand ich ja auch an Robert interessant: Äußerlich wurde
er immer mehr zum klassischen Fußballer.« Er begann in Hannover die Hemden weit offen zu tragen, er kaufte sich Gürtel mit
Stanzmuster und fuhr zum ersten Mal ein Auto zum Vorzeigen, einen großen Mercedes. »Aber im Wesen |290| hatte er mit diesem Klischee immer weniger zu tun.« Einmal bekam Jacques einen »ganz rührenden Brief«. Schade, dass sie sich
in letzter Zeit so oft verpasst hätten, unterschrieben von Teresa und Robert. »Danke für den schönen Brief«, sagte Jacques
das nächste Mal zu Teresa am Telefon.
»Was? Welcher Brief?«
Robert hatte ihn allein geschrieben.
Im deutschen Sommer 2006 wich die Sonne nicht. Teresa und Robert reisten dem Licht entgegen. Das
Weitere Kostenlose Bücher