Robert Enke
geblieben, weil sich 96 finanziell unheimlich
für mich gestreckt hat«, betonte er, »und weil ich erwarte, dass es hier sportlich vorwärtsgeht.«
Letztendlich war er Profi, kein Idealist. Gleichzeitig jedoch schöpfte er aus der Hingabe der Hannoveraner unbewusst neue |304| Lebensfreude. Umhüllt von den Danke- und Bravorufen, zweifelte er nicht mehr an seiner Entscheidung zu bleiben. Er saß mit
Teresa bei Lara am Grab, und auf einmal war er sich sicher, er hätte nicht weggehen können.
So langsam glaubte er daran, was sich Teresa und er seit dem 17. September 2006 gebetsmühlenartig vorsagten. »Du kannst nicht
jede Minute trauern. Es ist nicht verwerflich, mal wieder essen zu gehen, wieder zu lachen.«
Wenn im Wintertrainingslager in Jerez de la Frontera im Januar 2007 ein Training vorbei war, gingen die Männer aus Kabine
zwei nicht vom Fußballplatz.
Mittelfeldspieler Hanno Balitsch zog sich Roberts Handschuhe an und stellte sich ins Tor. Michael Tarnat schoss Freistöße,
Robert Enke lauerte im Strafraum, Tarnat schoss statt auf das Tor gelegentlich auch mal absichtlich auf Roberts Hintern. »So
kann ich nicht arbeiten!«, rief Robert und lachte mit den anderen.
In seinem Körper schien es einen Bereich zu geben, der von dem Spaß unberührt blieb, eine Ebene, zu der kein Lachen mehr vordrang.
Aber es gelang ihm immer öfter, sich von diesem Teil seines Körpers abzukapseln. Er konnte in einem Moment voller Verzweiflung
an Lara denken und im nächsten über Tarnat lachen.
Sogar während der Bundesligaspiele »schweiften meine Gedanken immer mal wieder zu ihr ab«. Er lächelte schon wieder. »Aber
das ist bei einem Torwart ja auch nicht ganz so dramatisch.«
Teresa hatte keine Mannschaft. Sie begann in den Feldern Empedes zu laufen. Irgendwann lief sie jeden Tag, mindestens zehn
Kilometer, so lange, bis ihr der Schmerz in den Fuß fuhr. Ein Ermüdungsbruch, diagnostizierte der Arzt.
»Vielleicht sollte diesmal ich zu einem Psychologen gehen«, sagte sie abends zu Robert.
»Du?«
»Ich glaube, es würde mir helfen.«
» Du
brauchst doch keinen Psychologen.« Er sagte es, um ihr |305| Mut zu machen. Gemeinsam würden sie ihr Leben ohne Lara schon finden. Sagte er es auch, weil es sein Weltbild zerstört hätte?
Seine in seinen Augen doch starke Frau beim Psychologen.
Teresa kam der Gedanke in den folgenden Wochen noch einige Male: Vielleicht brauchte sie doch professionelle Hilfe. Seine
Ablehnung wurde nur heftiger, je öfter sie die Idee aussprach. Irgendwann glaubte sie selbst, dass sie auch ohne Psychologen
zurechtkam. Nur, warum er so vehement gegen die Idee protestiert hatte, fragte sie sich noch oft.
Sie hatten nun auf einmal Zeit. Die Nachmittage, die dem strikten Rhythmus von Laras Bedürfnissen unterworfen waren, lagen
nun wie eine Prüfung vor ihnen. Würden sie es schaffen, etwas zu unternehmen und es auch ohne schlechtes Gewissen zu genießen?
Sie fuhren nach Hamburg, sie gingen zum Steinhuder Meer. Eines Nachmittags klingelte er bei einem Nachbarn. Sein Internetzugang
funktionierte gerade nicht, dürfte er kurz den Computer des Nachbarn benutzen? Uli Wilke war der beste Fußballer im Dorf gewesen,
bevor Robert Enke nach Empede zog. Er hatte in der Dritten Liga beim TSV Havelse gespielt. Mit Anfang vierzig arbeitete er
als Autohändler. Nachdem Robert das Internet benutzt hatte, kamen sie ins Gespräch.
Uli kam zu ihm zum Europapokalschauen, Teresa und er halfen den Wilkes beim Steinmauerbauen im Garten. Die Wilkes hatten zwei
kleine Mädchen, das war der Test, den die anderen gar nicht wahrnahmen: es zu ertragen, dass andere Ehepaare wunderbare Kinder
hatten.
Würden sie jemals wieder Kinder haben? Er sagte sich, die Frage käme zu früh. Aber die Frage kam ihm immer wieder.
Eine Ärztin, die sie in der Klinik der Medizinischen Hochschule kennengelernt hatten, fragte, ob sie nicht einmal auf ihre
kleine Tochter Laura aufpassen könnten. Teresa und Robert trauten sich nicht, Nein zu sagen. Laura kam immer häufiger zu ihnen.
Schließlich ging ihnen auf, warum die Ärztin ihnen die Tochter anvertraute. Es ging weniger um das Mädchen. Sie |306| sollten sich wieder an den Umgang mit Kindern gewöhnen. Sie sollten nicht mehr in jedem Kind das Fehlen von Lara erkennen.
Teresa kann nicht sagen, wann, ob nach vier oder fünf Monaten, es gab nicht
den
Moment, aber irgendwann freuten sie sich, wenn wieder jemand vor ihrer Tür mit heller
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