Robert Enke
hoher Wahrscheinlichkeit würde Stuttgart zum Saisonende in einem halben Jahr seinen Torwart verlieren, Timo Hildebrand
zog es in die Ferne. In diesem Fall wollte Veh Enke. Noch aber kämpfte der Trainer um Hildebrand, und bevor dieser Kampf nicht
verloren war, wollte er mit keinem anderen Torwart gesehen werden. So verhandelte Jörg Neblung zunächst mit Hannover.
Er traf den Präsidenten Martin Kind am Tag vor Weihnachten in dessen Firmenzentrale in Großburgwedel. Kind beschäftigt fast
2000 Angestellte, um Hörgeräte zu produzieren und weltweit |302| zu vertreiben. Fußball war nicht sein Fach, deshalb rätseln viele bis heute, was ihn dazu brachte, Hannover 96 mit seinen
Millionen wieder einen Platz in der Bundesliga zu verschaffen. Doch zum einen schadet es auch dem Verkauf von Hörgeräten gewiss
nicht, wenn der Firmenname durch das Fußballengagement des Chefs bekannter wird. Zum anderen kann Kind gar nicht genug Arbeit
haben. Einmal wollte er Urlaub machen. Er besuchte Hannovers ehemaligen Sportdirektor Ricardo Moar in La Coruña. Kind schaute
ständig nervös auf seine zwei Handys, wann würde endlich wieder eines klingeln. Moar entschied, ihn zum Sightseeing in die
Firmenzentrale von Zara zu schicken. Dort war Kind glücklich.
Robert Enke war einer der wenigen Fußballer seines Klubs, zu denen Kind so etwas Ähnliches wie ein persönliches Verhältnis
hatte. Die analytische, über den Dingen stehende Art, mit der Enke den Fußball betrachtete, gefiel Kind.
Er wusste, Enke zu verlieren würde dem Verein den Optimismus nehmen. Fußballprofis werden schon nach drei guten Spielen überhöht,
und Robert Enke, Spitzenklasse in einem Mittelklasseklub, erfuhr in Hannover die entsprechende Überanerkennung. Er gab der
Sehnsucht Leben, dass Hannover 96 doch einmal etwas Größeres als ein regionaler Liebling sein könnte.
Um den Torwart zu halten, hatte Kind teilweise von externen Geldgebern eine für Hannover 96 außergewöhnliche Summe zusammengebracht,
über sechs Millionen Euro. Doch schnell wurde bei den Verhandlungen klar, dass es ein Problem gab. Kind dachte, die sechs,
sieben Millionen reichten für einen Vierjahresvertrag. Jörg Neblung argumentierte, Robert Enke sollte dasselbe Geld für drei
Jahre erhalten. Dann würde er immer noch weniger verdienen als in Stuttgart.
Für den schärferen Ton hatte Kind das Aufsichtsratsmitglied Gregor Baum mitgebracht, der mit Immobilien und Rennpferden handelt.
Baum sorgte zwar dafür, dass die Tagung schneller vorüber war, aber sie endete auch ohne Einigung.
Robert und Teresa warteten im Hotel Kokenhof auf Jörg, unmittelbar neben der Hörgerätefirma. Weihnachtsschmuck hing in der
Rezeption. Nachdem er ihnen die Verhandlungen geschildert |303| hatte, sagte Jörg, er sei dafür, Hannover zunächst einmal abzusagen. Das müsse ja nicht heißen, dass man in ein paar Wochen
nicht doch noch ins Geschäft komme. »Und dann«, sagt Jörg Neblung, »fiel im Kokenhof die Entscheidung gegen 96.«
Hannover wisse, was ein Torwart seiner Kategorie anderswo verdiene, überlegte Robert laut, er sei bereit gewesen zu bleiben,
obwohl er bei 96 schlechtere sportliche Aussichten und ein geringeres Gehalt als etwa in Stuttgart hätte. Aber wenn der Klub
ihm finanziell nur halbherzig entgegenkomme, sollte das vielleicht das Zeichen sein zu gehen.
Jörgs Telefon klingelte.
»Herr Neblung, wir haben noch mal geredet. Wir sind bereit, das Angebot zu erhöhen. Es ist uns wichtig, dass Robert bei 96
bleibt.« Martin Kind bat den Agenten, am besten doch sofort noch einmal in sein Büro zu kommen.
Noch am selben Abend wurde ein Pressefotograf in den Kokenhof gerufen, um Robert Enke und Martin Kind beim Handschlag abzulichten.
Enke hatte einen Dreijahresvertrag bis Juli 2010 unterschrieben.
Zwei Monate später wurde bekannt, dass Timo Hildebrand vom VfB Stuttgart zum FC Valencia wechselte. Nun hätte Stuttgarts Trainer
Armin Veh liebend gerne Robert Enke getroffen.
In Hannover jubilierten die Fans und lokalen Medien, als habe ihnen Robert Enke mit seinem Entschluss zu bleiben ein Geschenk
gemacht. Er bekam ein wenig Angst. Die überschwänglichen Kommentare lasen sich, als sei er ein Romantiker, der seinen persönlichen
Fortschritt nur aus Dankbarkeit gegenüber 96 zurückstellte. Doch was, wenn er in zwei Jahren Hannover vielleicht doch noch
verlassen wollte? Würde er dann als Heuchler beschimpft werden? »Ich bin auch
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