Robert Enke
der Partie gegen Russland eine Überschrift, die wie eine Drohung klang: »Enke: Jogis Nummer eins
– bis zum ersten Fehler.«
Er versuchte, es nicht persönlich zu nehmen. Er wusste, was wie eine Kampagne gegen ihn aussah, war im Prinzip nur eine persönliche
Verirrung: Der
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-Korrespondent bei der Nationalelf berichtete im Bundesligaalltag über René Adler und Bayer Leverkusen, der Mann mochte René
so sehr, dass er mit jeder Überschrift für den Jungen kämpfte.
|334| Aber abstellen ließ sich die Empörung auch nicht: Warum musste der
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-Mann so weit gehen, auf ihn einzuschlagen, nur weil er Renés Konkurrent war? Einmal hatte er mit Hannover 0:2 in Leverkusen
verloren, ein alltägliches Bundesligaergebnis. In der
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machte der Mann zur Überschrift: »Enke in der Schießbude.«
Ist alles nicht wichtig, versuchte sich Robert Enke zu beruhigen.
Auch in den anderen Medien wurden er und René Adler in den Tagen vor dem Russland-Spiel zu den großen Kontrahenten stilisiert.
Lehmann gegen Kahn war gestern, nun ging der Torhüterkampf, das große deutsche Duell, in die nächste Runde mit Enke gegen
Adler. In Wirklichkeit kamen sie sich immer näher. Das hemmende Bewusstsein, um denselben Platz zu kämpfen, erlaubte es ihnen
nicht, darüber zu reden, aber still hatten sie schon bei der Europameisterschaft ein Einverständnis gefunden, diesen Wettkampf
mit freundschaftlicher Härte zu betreiben. Im Trainingslager in Düsseldorf waren sie bereits herzliche Kollegen. »Robert und
René waren eher harmoniebedürftig«, sagt Andreas Köpke. »Das waren andere Typen als Olli Kahn oder Jens Lehmann. Sie brauchten
nicht diesen Kick, sich gegenseitig hochzunehmen, Feindbilder aufzubauen. Aber diese Zeiten sind auch vorbei. Heute ist der
Umgang in einer Fußballelf viel mehr ein Miteinander geworden.«
»Ich hatte immer das Gefühl, dass zwischen uns kein Konkurrenzkampf war«, sagt René Adler. »Und ich glaube, das tat uns beiden
gut. Es hilft, wenn du nicht auch noch im Training diesen Druck hast: Wenn der jetzt den Ball hält, muss ich gleich einen
besseren halten.«
In Düsseldorf hatte der Trainer drei Tage vor dem großen Spiel ein Übungsmatch vier gegen vier auf kleinem Feld angesetzt.
Philipp Lahm schoss aus kurzer Distanz, Robert Enke riss die Fäuste hoch und wehrte den Ball ab. Im anderen Tor konzentrierte
sich René Adler auf das Spiel, weil der nächste Schuss schon gleich auf ihn zukommen konnte, es ging hin und her auf dem kleinen
Spielfeld, die Spieler sollten lernen, auf engstem Raum in kürzester Zeit Entscheidungen zu treffen.
|335| Robert Enke spielte bis zur nächsten Trinkpause weiter. Dann ging er auf Andy Köpke zu. »Mir hat es das Handgelenk beim Fausten
zurückgerissen, irgendetwas habe ich abgekriegt, vielleicht habe ich mir die Hand verrenkt.«
»Mach dir sofort Eis drauf und lass mal schnell den Doc draufschauen.«
René Adler stand ein paar Schritte abseits, in Gedanken noch ganz im Spiel, das gleich weiterging. Aus dem Augenwinkel sah
er, wie Robert Enke nicht mehr auf das Spielfeld ging und Tim Wiese an seine Stelle trat. René Adler hatte keine Zeit, darüber
nachzudenken, das Trainingsspielchen lief sofort wieder auf hohem Tempo an.
Der Doktor bewegte vorsichtig Robert Enkes linke Hand. Dann sagte er, »wir müssen ins Krankenhaus«.
|336| ACHTZEHN
Leila
Das Kahnbein war gebrochen. Während die Nationalmannschaft in Düsseldorf im Abschlusstraining ein letztes Mal Eckbälle einstudierte,
saß er bereits in der Abteilung für Handchirurgie im Unfallkrankenhaus Hamburg.
Doktor Klaus-Dieter Rudolf hatte Robert Enke eine Schraube eingesetzt, die sogenannte Herbert-Schraube, um den Handwurzelknochen
an der gebrochenen Stelle zu stabilisieren. Die Operation sei erfolgreich verlaufen, erklärte ihm Rudolf, es spreche viel
dafür, dass der Bruch glatt verheile, die Methode wurde seit über 20 Jahren erfolgreich angewandt. Aber der Arzt wollte ehrlich
zu ihm sein. Robert Enke sei Torwart. Er müsse das Handgelenk extrem bewegen und belasten. Es bleibe ein Risiko, dass er die
Hand nie mehr voll strecken könne, es sei eine komplizierte Heilung.
Teresa holte ihn in Hamburg ab. Er trug einen roten Gips mit Klettverschlüssen, er sollte den Gips so bald wie möglich täglich
für ein paar Stunden abschnallen können, um die Gelenkigkeit zu trainieren. In drei Monaten, hatte der Arzt gesagt, konnte
er im Normalfall wieder im Tor
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