Robert Enke
Spieler und musste sich nicht dem Druck der Partien aussetzen. »Er war während der Europameisterschaft blendend
gelaunt«, sagt Teresa.
Nach dem 2:0 gegen Polen sprach ihn ein Mann im Kabinengang an. Frans Hoek, der Torwarttrainer aus Barcelona, der ihn nach
seinem Empfinden fertiggemacht hatte, begrüßte ihn mit einem Lächeln. Hoek war inzwischen Torwarttrainer der polnischen Nationalelf.
»Siehst du, so ist dir doch noch Gerechtigkeit widerfahren. Jetzt bist du der Torwart geworden, den ich in dir gesehen habe,
als ich dich zu Barça holte. Ich freue mich für dich.« Robert Enke war perplex. Hoek redete weiter, als ob sie in Barcelona
eine innige Beziehung gepflegt hätten. Nach Hoeks innerer Uhr unterhielten sie sich sogar eine Dreiviertelstunde. Zum Abschied
fragte er, ob Robert Enke ihm sein Nationaltrikot schenken könnte. Robert gab es ihm, zu erstaunt, um irgendetwas anderes
zu tun als Folge zu leisten.
Vier Tage später geriet die schöne Welt im Tessin aus den Fugen. Deutschland hatte 1:2 gegen Kroatien verloren. Ein Ausscheiden |328| in der Vorrunde war eine Möglichkeit geworden. In der Mannschaft flammte Streit auf. Rasch erreichte die Diskussion im Spielerkreis
Boulevardzeitungsniveau. Es ging auch darum, dass ein paar ältere Spieler fanden, die jungen hätten am Tag nach der Niederlage
nicht Cocktails am Pool zu schlürfen. Wie so oft in jenen Jahren in deutschen Mannschaften brach offen die große Führungsdebatte
aus. Führte es zum Erfolg, wenn eine Mannschaft noch mit der autoritären, oft rüden Art der Effenberg-Generation von einigen
wenigen dominiert wurde, wie Deutschlands Kapitän Michael Ballack glaubte? Oder brauchte eine Erfolgsmannschaft eine flache
Hierarchie mit elf Fußballern, die sich allesamt als Diener einer übergeordneten Spielidee verstanden, wie das vor allem die
jüngeren Profis sahen? Robert Enke war froh, dass er als Ersatztorwart außen vor war bei dem Streit um Hierarchien, Abwehrarbeit
und Cocktails. Er hätte nicht gewusst, auf welcher Seite er stand. Prinzipiell teilte er eher die Idee einer Elf, in der sich
alle gegenseitig halfen, statt einem Führungsspieler zu folgen. Andererseits erwischte er sich mit dreißig Jahren auch öfter
bei dem Gedanken, dass die Älteren auch mal mit harter Hand für Ordnung sorgen müssten.
Mit dem Besten aus beiden Modellen – einem hervorragenden Ballack als Leitwolf sowie einer Mannschaft, die geschlossen einer
akribisch ausgearbeiteten Spielidee diente – besiegte Deutschland in seiner beeindruckendsten Vorstellung seit Jahren im Viertelfinale
Portugal 3:2. Die deutsche Elf erreichte das Endspiel von Wien, wo sie gegen eine systematisch überlegene spanische Auswahl
0:1 verlor.
Robert Enke lag nach der Endspielniederlage breitbeinig auf dem Rasen des Wiener Ernst-Happel-Stadions, das giftgrüne Ersatztrikot
noch an, die Silbermedaille um den Hals. Im Flutlicht ließ sich nicht mehr übersehen, wie sehr er sich in den letzten Jahren
körperlich verändert hatte. Er war kantig geworden. Laras Tod hatte seinem Gesicht das Jungenhafte genommen. Dass er sich
neuerdings den Kopf rasierte, weil die Geheimratsecken unaufhörlich wuchsen, verstärkte die neue Härte des Gesichtsausdrucks.
Sein Körper war extrem muskulös geworden. |329| Zwei Jahre zuvor hatte er noch gesagt, »die ganz große Besessenheit wie Olli Kahn hatte ich nie, ich musste auch nie so arbeiten
wie er, denn ich hatte das Talent«, aber seit die Nationalelf in seine Sichtweite kam, trainierte er mit Hartnäckigkeit im
Kraftraum, weil ihm das nicht unbedingt innovative Torwarttraining bei Hannover 96 nicht reichte. Als er nach dem Endspiel
von Wien ganz allein zwischen all den geschlagenen Mitspielern im Gras lag, richtete sich sein Blick nach vorne. Jens Lehmanns
Nationalmannschaftskarriere war seit wenigen Minuten zu Ende. Es lag nur noch an ihm selbst, ob er Deutschlands Nummer eins
würde.
Er flog mit Teresa in den Urlaub nach Lissabon. Sie hatten dort mittlerweile ein Haus gekauft.
»Es bleibt dabei, mit 34 kommst du zu Benfica zurück?«, fragte Paulo Azevedo.
»Selbstverständlich«, sagte Robert.
In einem Jahrzehnt mit Oliver Kahn und Jens Lehmann hatte sich Deutschland an den Nationaltorwart als gnadenlosen Einzelkämpfer
gewöhnt. Als im August 2008 das Zeitalter nach Kahn-Lehmann begann, war im Land der Glauben fest verankert, ein Torwart müsse
so sein wie die beiden, zum
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