Robert Enke
bisschen kann ich mir jetzt vorstellen, was Robs durchmacht«, sagte Hanno zu Teresa. Sie bat ihn, auf ihren Mann aufzupassen.
Wichtig sei, dass er beim Training nicht abschweife, nicht in die düsteren Gedanken abgleite. »Wenn du merkst, er lässt sich
hängen, dann tritt ihn in den Hintern.«
»Teresa! Bei aller Liebe. Ich kann doch nicht unseren Kapitän vor allen Leuten zur Schnecke machen.«
»Ja, gut. Dann treib ihn eben positiv an.«
Hanno Balitsch hat einen festen Blick aus klaren Augen. Er ist überzeugt davon, dass man die Dinge im Leben am besten immer
geradlinig löst. Auch wenn ihm dies einige Probleme in seiner Karriere eingebracht hat. Mit den
Bild
-Reportern in Hannover sprach er nicht mehr, nachdem er sich ungerecht behandelt fühlte. Dafür konnte er sich bei unterdurchschnittlichen
Spielen einer vernichtenden Kritik gewiss sein. Robert Enke bewunderte Hannos Geradlinigkeit und erschrak gleichzeitig darüber.
»Hanno kann für den Trainer und die Mitspieler, aber eben auch für den Gegner sehr unangenehm sein«, sagte er einmal. Sie
verstanden sich sofort in Hannover. »In Fußballfragen waren Robs und ich häufig einer Meinung.« Hanno unterbricht sich mit
einem vorsichtigen Lächeln. »Wobei wir uns meistens anders ausdrückten. Ich war vielleicht oft zu deutlich. Ich habe Sachen
zum Trainer oder Manager gesagt, die mir als Spieler gar nicht zustanden. Robs konnte dasselbe sagen, und auf einmal klang
es diplomatisch, annehmbar.«
Ein wenig kam es Hanno seltsam vor, dass er Robert nun im Training für Paraden aufmunternd lobte, die er vier Jahre lang als
selbstverständlich empfunden hatte. Aber wenn Hanno Balitsch etwas kann, dann die Dinge mit einem Achselzucken so zu nehmen,
wie sie sind; selbst wenn sie dramatisch waren. Er |370| brachte Robert dazu, mit ihm nach dem Training noch Tischtennis zu spielen, er nahm ihn zwischen zwei Trainingseinheiten mit
zum Mittagessen. Einmal klingelte Roberts Handy, als er mit Hanno auf dem Weg ins Restaurant war.
Teresa war dran.
»Ich fahre zum Mittagessen«, sagte ihr Robert.
»Bist du alleine?«
»Keine Angst. Dein Pitbull sitzt neben mir.«
Eine Woche nach der Niederlage in Trier reiste Robert Enke mit der Mannschaft im ICE zum ersten Bundesligaspiel der Saison
nach Berlin. Wie immer auf Zugfahrten saß er neben Tommy Westphal und erledigte seine Autogrammpost. »Er ist ein Gewohnheitstier«,
dachte sich Tommy. Robert glaubte, der Stift fiele ihm gleich aus der Hand. Er fühlte sich so unglaublich müde.
In Berlin verlor Hannover gegen Hertha BSC 0:1. Er hatte es doch schon geahnt, er hatte es doch schon gewusst, es ging nichts
mehr. Jörg Neblung saß in Köln vor dem Fernseher und dachte das Gegenteil. »Wahnsinn, wie Robbi in seinem Zustand noch spielt!«
Seine Abwehrspieler hatten Robert Enke eine Viertelstunde vor Spielschluss die Sicht versperrt, er sah den spektakulären Weitschuss
von Raffael de Araújo erst, als er bereits über die Abwehr hinweg auf sein Tor geflogen kam, und lenkte den Ball noch mit
den Fingerspitzen um den Pfosten herum. Wenn er solche Schüsse hielt, dann konnte die Depression noch nicht so weit fortgeschritten
sein, sagte sich Jörg. Er wollte Robert mitteilen, »die Parade war sensationell«.
Robert kam ihm am Telefon zuvor. »Ich spüre nichts mehr«, sagte er tonlos. »Keine Nervosität, keine Freude, nichts. Ich stand
auf dem Spielfeld, und mir war alles nur egal.«
Was Robert Enke durchaus noch spürte, war, dass der schwarze Hund immer größer wurde. Er zog wieder die Baseballmütze auf
und ging zu Doktor Stroscher. Er brauchte zum zweiten Mal im Leben Antidepressiva. Er wollte unbedingt dasselbe Medikament,
das ihm 2003 geholfen hatte. Es gab das Mittel |371| nur noch in einer Weiterentwicklung. Weiterentwicklung sollte doch heißen, dass das Medikament besser wirkte. Lange konnte
er nicht auf die Wirkung der Antidepressiva warten, fühlte er.
Teresa und er waren zu einem Kindergeburtstag eingeladen. Die jüngere Tochter der Wilkes wurde sechs. Das Wetter war gut genug,
um im Garten zu feiern, es war der 16. August. Er fühlte sich bedrängt. Alle erwarteten sicher, dass er mit ihnen redete,
und wie sollte er das nur schaffen, er glaubte nicht, dass er ein vernünftiges Gespräch führen konnte. Er legte sich auf eine
Liege und tat, als würde er schlafen.
Uli Wilke dachte, »wie schön, er fühlt sich hier schon so zu Hause, dass er
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