Robert Enke
die Unregelmäßigkeit seines Herzschlags exakt zu überprüfen. Robert Enke schwitzte vor Angst und Aufregung. Was,
wenn sie in der Blutprobe Spuren der Medikamente fanden? Der Arzt war kurz zu einem anderen Patienten gegangen, sie hatten
wenige Minuten Zeit, sich etwas einfallen zu lassen. Robert Enke wollte den einfachsten Weg wählen: »Wir müssen hier raus.«
Als der Arzt wiederkam, erklärte ihm Jörg Neblung, Robert mache das nicht mehr mit, in jedem Krankenhaus solle ihm Blut abgezapft
werden, das könne nicht sein, er dürfe nicht so viel Blut verlieren, er sei Sportler. Sie gingen jetzt. Der Arzt sah ihnen
mit einem Blick hinterher, der zu sagen schien: Sie wissen nicht, was sie tun.
Die Sportreporter schrieben: Rätsel um Enke. Noch immer keine Erklärung für seine hochmysteriöse Viruserkrankung.
|387| Ohne es zu merken, hatte er sich von der Dynamik der Ereignisse in den nächsten Teufelskreis treiben lassen. Er musste unbedingt
einen Virus präsentieren, den es womöglich gar nicht gab.
»Ich mach das alles nicht mehr mit!«, schrie er zu Hause. Als ihn Teresa vorsichtig fragte, ob es dann nicht vielleicht doch
besser sei, seine Krankheit bekannt zu machen und sich therapieren zu lassen, rief er: »Ich gehe nicht in die Klinik!«
Stattdessen fuhr er zu einem Zeckenbiss-Spezialisten nach Langenhagen und ins Tropeninstitut nach Hamburg.
Wieder wurde ihm Blut abgenommen, zum vierten Mal in zehn Tagen. Und tatsächlich entdeckten die Mediziner etwas. Er leide
an einer Campylobacter-Infektion im Darm, eröffnete ihm der Vereinsarzt. Die Bakterien schwächten den Körper und verursachten
vor allem Durchfall. Das war keine Infektion, wegen der ein Fußballer wochenlang pausierte. Aber so genau würde es hoffentlich
niemand nehmen.
Jörg Neblung freute sich über die Bakterien wie über einen Bundesligasieg von Hannover. Endlich hatte Robert einen Grund,
zumindest für eine Zeit von der Bildfläche zu verschwinden, ohne gleich seinen Traum von der Weltmeisterschaft endgültig zu
zerstören.
Am 18. September, zehn Tage nach dem Spiel gegen Aserbaidschan, meldeten die Sportreporter: »Quali-Aus für Enke!« Der Torwart,
der immer so viel Pech hatte, falle wegen einer nun diagnostizierten Darminfektion für mindestens zwei Wochen aus. In den
verbleibenden Qualifikationspartien werde René Adler im Tor stehen und sei somit klarer Favorit für den Posten bei der Weltmeisterschaft.
Es sei in den letzten Wochen alles zu viel für Robert gewesen, die Absage für das Länderspiel in Hannover und Laras Todestag,
sagte Jörg Neblung zu Hannovers Sportdirektor Jörg Schmadtke. Robert müsse mal raus. »Wenn es ihm hilft, kann er von mir aus
auch vier Wochen nach Portugal fliegen«, antwortete Schmadtke. »Robert hat hier alle Freiheiten.«
Noch am selben Tag fuhr Robert Enke mit Jörg Neblung nach Köln. Er wollte sich wieder bei Valentin Markser behandeln lassen, |388| so wie damals. Darauf hoffte er: Das alles wurde wie damals, 2003.
Abends sah er sich mit Valentin und Jörg das Freitagsspiel der Bundesliga im Fernsehen an, Schalke gegen Wolfsburg. Sie aßen
Pizza und tranken Bier.
Konnte es nicht genießen
, schrieb er in das schwarze Buch.
Es wurde wieder 2003. Er ging täglich zu Valentin, Valentin sagte ihm, er müsse joggen, das sei gut für den Kopf, er ging
laufen und sagte sich, er hasse Joggen. Jörg dachte sich wieder ein Beschäftigungsprogramm für ihn aus, morgens die Zeitungen
und Brötchen holen, nachmittags mit Milla in den Wald, bergauf ließ er Robert den Kinderwagen schieben, damit er sich anstrengte,
damit sich danach das Gefühl einstellte, er habe etwas geschafft.
In diesen Tagen bekam ich plötzlich eine SMS von ihm. Handynachrichten beantwortete er geradezu zwanghaft, aber in den vergangenen
Wochen hatte er auch das nicht mehr geschafft. Nun entschuldigte er sich in der SMS für sein Schweigen und schrieb über seine
Krankheit: »Ich sag mal, ein weiteres gutes Kapitel für unser Buch. Viele Grüße, Robinho.«
Ronninho und Robinho nannten wir uns, wenn wir gut gelaunt waren, in Erinnerung an die gemeinsame Zeit in Barcelona, in Anlehnung
an Barças Idol Ronaldinho. Wo kam mitten in der Depression die gute Laune her, die Selbstironie, seine Krankheit als gutes
Buchkapitel zu bezeichnen? Er hatte mit Jörg die Hecke im Garten geschnitten.
Danach ging es mir etwas besser
, steht im schwarzen Buch.
Aber es ließ sich nicht übersehen,
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