Robert Enke
stellte sich die
Frage, was danach passieren würde. Sein Vertrag würde im Juli auslaufen. Die Vereinsführung schien das vergessen zu haben.
Seit Manager Rüssmann im November entlassen worden war, kümmerte sich niemand mehr um die Zukunft. Schon die Gegenwart überforderte
die Verantwortlichen. Präsident Wilfried Jacobs fasste seine Amtszeit bei der Borussia so prägnant wie selbstgerecht zusammen:
»In zwanzig Monaten hatte ich das Pech, keine einzige schöne Stunde zu erleben.«
Die Rückrunde wurde eine Kopie der Hinrunde. Im April 1999, ein Drittel der Saison lag noch vor ihnen, war Borussia Mönchengladbach
als Tabellenletzter so weit, von der letzten Chance zu reden.
Am Samstag in Nürnberg müssen wir gewinnen.
Zwei Tage vor der Partie bat Trainer Rainer Bonhof Robert Enke in die Trainerkabine.
Er müsse die neue Saison planen, er müsse wissen, woran er sei. Könne er mit ihm rechnen?
»Ich kann es noch nicht genau sagen.«
»Robert, bitte. Ich brauche Klarheit.«
Robert Enke wollte gerne anständig sein.
|75| »Also gut. Ich werde weggehen.«
Er wollte nicht für einen unorganisierten Verein in der Zweiten Liga spielen; und genau das wäre wohl nächste Saison die Situation
bei der Borussia gewesen.
Er nannte dem Trainer den kleineren Teil der Wahrheit: Er gehe, weil er nicht wisse, woran er in Mönchengladbach nächstes
Jahr sei, wenn Kamps zurückkehre.
Der Trainer sagte, wenn Robert sich so sicher sei, dann würde er seinen Weggang am besten gleich auf der Pressekonferenz bekannt
geben.
Robert Enke war irritiert. Wozu, fragte er, das würde jetzt, unmittelbar vor dem entscheidenden Spiel im Abstiegskampf, nur
unnötigen Aufruhr verursachen.
Nein, es sei besser, wenn die Dinge geklärt seien.
Er verstand Bonhof nicht. Der Trainer wusste doch nun Bescheid und konnte sich nach einem neuen Torwart umschauen. »Ich denke,
vielleicht wäre es besser, das nicht öffentlich zu machen.«
Robert Enke sagte es vorsichtig, höflich.
Nach dem Training nahm Rainer Bonhof im Pressesaal des Bökelbergstadions Platz, schenkte sich ein Glas Wasser ein und sagte,
ungefragt, er habe leider eine schlechte Nachricht. Robert Enke werde die Borussia zum Saisonende verlassen.
Am Samstag in Nürnberg gingen Teresas Eltern ins Frankenstadion, Bad Windsheim war nur siebzig Kilometer entfernt. Das Bettlaken
entdeckten sie ziemlich schnell. Es flatterte über einer Werbebalustrade vor dem Mönchengladbacher Fanblock.
Borussen: Kamps Frontzeck Eberl
stand darauf und daneben, getrennt durch einen sauberen Strich in der Mitte
Verräter: Enke Feldhoff
.
Robert Enke war der Liebling der Saison gewesen.
Nun spielte die Borussia um ihre selbsterklärte letzte Chance, und die Mönchengladbacher Fans begleiteten ihre Elf mit Rufen
wie »Enke, du Stasi-Schwein!«, »Robert Enke, Söldner und Verräter!« oder einfach »Uwe Kamps, Uwe Kamps, Uwe Kamps – Uuuuwe
Kamps!«.
Mönchengladbach verlor 0:2 gegen den ebenfalls abstiegsbedrohten |76| 1. FC Nürnberg, der seit einigen Wochen von einem Trainer namens Friedel Rausch betreut wurde.
Die Sportreporter warteten hinter mobilen Absperrgittern im Kabinengang des Frankenstadions. Robert Enke wusste schon, wonach
sie fragen würden.
Robert, die Rufe der Fans heute.
Keiner würde ihm etwas anmerken, hatte er sich vorgenommen.
»Das Geschrei war sicher nicht schön, aber irgendwie auch zu erwarten.«
Hast du dich geärgert, dass der Trainer deine Entscheidung gegen die Borussia öffentlich machte?
»Ich habe dem Trainer meine Bedenken geäußert. Aber wohl nicht entschieden genug.« Er klang beeindruckend sachlich. In solchen
Momenten, wenn er sich anstrengte, entspannt zu wirken, »teilte sich sein Gesicht«, sagt seine Mutter. Zum Beweis zeigt sie
auf ein paar Fotos. Wenn er locker wirken wollte, erkennt man auf den Bildern, lächelte sein Mund, und die Augen blieben ungerührt.
Nach einer verspielten letzten Chance sagen Fußballer: Das nächste Spiel müssen wir gewinnen, das ist unsere letzte Chance.
Bochum war der nächste Gegner. Minuten vor dem Anpfiff säuberten die Ordner am Bökelberg hektisch das Tor, vor dem Robert
Enke in Stellung gegangen war. Um ihn herum lagen Klopapier, Feuerzeuge, Bierbecher. Hinter dem Tor standen die Fans der Borussia.
»Seht nur, da steht er, der Söldner und Verräter!«
Niemand würde ihm etwas anmerken.
Als er einen Flachschuss von Bochums Kai Michalke problemlos parierte, pfiffen die
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