Robert Enke
Gefühl ein, dass die getrennte
Familie doch noch zusammengehörte. Robert vergaß Geburtstage oft.
Manchmal rettete ihn die Mutter. Sie rief ihn vorsorglich an, heute hat dein Vater Geburtstag, heute deine Nichte.
»Ich fand es schon schade, dass die Kommunikation zwischen uns so reduziert war«, sagt sein Vater. Er wartete immer auf eine
Einladung nach Mönchengladbach. Als partout keine kam, suchte er nach Anlässen, um seinen Sohn zu besuchen. Das Spiel gegen
Bayern würde er gerne sehen, er würde zu seinem Bruder nach Detmold fahren, da sei er sowieso in der Nähe.
Robert dachte nicht daran, dass man seine Eltern oder Geschwister einladen musste. Wenn sie kommen wollten, würden sie doch
kommen. An Weihnachten fuhr er aus dem einfachen Grund zu Teresas Eltern, weil das Fest dort traditioneller gefeiert wurde.
Bad Windsheim ist fest umschlossen von Feldern und Wäldern. Robert Enke wollte dort noch einmal joggen am letzten Tag des
Jahres 1998.
»Ich komme mit raus und gehe mit den Hunden spazieren«, sagte Teresa.
»Nein, brauchst du doch nicht, bleib bei deinen Eltern.«
Natürlich kam sie mit.
Sie fuhren mit dem Auto in die Felder hinter dem Galgenbuck, dort war es besonders abgeschieden, ideal, um die Hunde laufen
zu lassen. Viel Spaß, sagte sie, bevor er loslief.
Zehn Minuten später war er zurück. Seine Augen waren zugeschwollen, er musste permanent niesen. Aus seinem Hals drang ein
Fiepen.
»Ich bekomme keine Luft mehr!«
Sie rasten nach Hause. Im Bad fand Teresa ein altes Asthmaspray. |73| Robert drückte wie besessen auf die Spraydose. Aber der Wirkstoff drang nicht mehr in seine Lunge vor, die Luftröhre war zugeschwollen.
Teresas Vater brachte ihn in die Stiftsklinik. Das Fiepen aus Roberts Hals war das lauteste Geräusch im Auto.
Der Vater rannte vor und stieß die Tür zur Notaufnahme mit Schwung auf. Die Rezeption war nicht besetzt. Verging eine halbe
Minute, vergingen drei Minuten? Endlich erschienen zwei Krankenpfleger. Auf einer Trage rollten sie Robert Enke in die Intensivstation.
Er hatte die Augen geschlossen. Während er sich darauf konzentrierte, durch seine verengte Luftröhre ein- und auszuatmen,
hörte er nur, wie der eine Pfleger zum anderen sagte: »Das ist doch der Torwart von Gladbach, der immer die Bude vollkriegt.«
Sein Zustand stabilisierte sich. Mit einem Sauerstoffschlauch in der Nase lag er am Nachmittag im Bett, die zugeschwollenen
Augen konnte er noch nicht öffnen, als ihn eine Krankenschwester fragte: »Herr Enke, wollen Sie etwas lesen?«
Da konnte er schon wieder schmunzeln.
Silvester feierte er mit Teresa schon wieder auf der Normalstation. Er habe vermutlich eine Sellerie-Apfel-Allergie, erklärten
ihm die Ärzte, nachdem sie ihn untersucht hatten, jedes der Lebensmittel für sich könne er wohl problemlos vertragen, aber
wenn er zum Beispiel abends eine Suppe mit Sellerie gegessen habe und am Morgen danach eine Apfeltasche, könne das einen Anfall
auslösen. Wenn Teresa nicht beim Joggen dabei gewesen wäre, wäre er gestorben, wurde ihm klar, er hätte gar nicht mehr Auto
fahren können.
Ein paar Wochen später war der Vorfall schon zur Anekdote geworden, die er gerne erzählte: Stell dir vor, was der Krankenpfleger
sagte, während ich um Luft rang! Teresa und Robert Enke dachten nicht mehr tiefer darüber nach, was für Zufälle darüber entscheiden,
ob jemand lebt oder stirbt.
Im Trainingslager im Januar 1999 bereitete sich Marco Villa auf Robert Enkes traditionellen Wutausbruch vor. Immer am dritten
Tag des Trainingslagers störte den Freund plötzlich alles. Nie |74| dauerte die Verstimmung länger als einen Tag. Marco nannte die Phase für sich »Robbis Tage«.
»Wie laut ist denn der Fernseher!«
»Sag es mir, Robbi, dann mache ich ihn leise.«
Ohne etwas zu entgegnen, verzog sich Robert ins Bad.
»Du hast mein Handtuch benutzt!«, rief er ins Zimmer.
»Ich habe irgendeines genommen. Es liegt noch ein unbenutztes im Fach.«
»Und warum ist die Klobrille schon wieder dreckig! Ich habe dir schon so oft gesagt, du sollst nicht im Stehen pinkeln!«
»Alles klar, Robbi«, sagte Marco und sah weiter auf den Fernseher. Er wartete, dass Robbis Tage vorübergingen.
Neuigkeiten kamen im Trainingslager an. Uwe Kamps war wieder an der Achillessehne operiert worden. Er würde in dieser Saison
nicht mehr zurückkommen. Robert Enke war bis zum Ende des Spieljahres konkurrenzlos im Tor der Borussia. Es
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