Robert Enke
Zeit zum Mittagessen haben. Jörg Neblung, norddeutsch blond, die Figur erinnert auch mit 43 noch an den Zehnkämpfer, führt
nun seine eigene Fußballeragentur. Während des Gesprächs dreht er sich manchmal um, als rede er zu seinem Regal. Dort hat
er Torwarthandschuhe und Fotos von Robert mit einer Kerze aufgestellt.
Es gibt Hunderte Arten von Freundschaft, und aus der, die 1998 zwischen Robert Enke und Jörg Neblung entstand, würde nie die
Tatsache verschwinden, dass Jörg sich kümmern sollte. Aber der Wille, gemeinsam nach Zielen zu streben, verbindet mehr als
die meisten Gefühle.
Jörg Neblung konnte nachvollziehen, dass Robert Enke in schwierigen Momenten alles immer mit sich selbst ausmachen wollte.
»So bin ich auch«, sagt er.
Als Borussia Mönchengladbach im Herbst 1998 aus der Dynamik der Fehler nicht mehr hinausfand und sechs Wochen, |70| sieben Spiele lang durchgehend verlor, verwandelte sich Robert Enke in einen Einzelsportler. Die Einsamkeit des Torwarts ist
oft literarisch überhöht und bedauert worden, für den Torwart in einer untergehenden Mannschaft ist die Einsamkeit jedoch
ein Segen. Er spielt sein eigenes Spiel und findet in den Niederlagen seine Siege. 0:2 gegen Bayern München zu verlieren hieß
für ihn auch fünf schwere Schüsse zu halten. Wenigstens er hält noch, sagten die Experten, schrieben die Zeitungen.
Robert 1998 während seiner Zeit in Möchengladbach. [8]
»Während das Chaos tobt, bleibt einer ruhig in Gladbach«, schrieb der Düsseldorfer
Express
.
»Ruhe, Gelassenheit, Ausgeglichenheit; Klasse«, attestierte ihm der Meistertrainer Jupp Heynckes, der ein halbes Jahr zuvor
Real Madrid zum Champions-League-Sieg geführt hatte und nun in einem Sabbatical in seiner Heimat Mönchengladbach oft Borussias
Partien besuchte.
»Er war schon immer weiter als wir, in seinen Gedanken, im Verhalten, im Reden«, sagte Borussias Mittelfeldspieler Marcel
Ketelaer, der mit Robert in den Jugend-Nationalteams groß wurde. »Er war schon immer erwachsener als wir.«
|71| Mentale Stärke war ein Modeausdruck des neuen, psychologisierten Sports. Dieser Torwart war für alle ein Muster des neuen
Sportlers. Galant wurde übersehen, dass er gelegentlich bei einer Flanke nicht aus dem Tor eilte oder Hertha BSC ein Tor ermöglichte,
als er einen Schuss abprallen ließ. Wenig rührt das Fußballpublikum so sehr wie ein junger Torwart unter harten Männern, er
wird für Paraden gefeiert, die bei erfahrenen Torhütern beiläufig zur Kenntnis genommen werden. Vollends würde Robert Enke
dies erst ein Jahrzehnt später realisieren; als er ein älterer Nationaltorwart unter jungen Rivalen war.
In Mönchengladbach bemühte sich die Mannschaft angesichts ihres beispiellosen Niedergangs, sich selbst zu täuschen. Einer
machte immer Witze in der Umkleidekabine. Im Gelächter hörten sie nicht, dass etliche Spieler mittlerweile lieber übereinander
als miteinander redeten. Jörgen Pettersson rieb sich in einem stummen Konflikt an seinem Sturmpartner Toni Polster auf. Gegen
Robert Enke hatte niemand etwas. Er beteiligte sich als Zuhörer an den taktischen Stammtischen in verschiedenen Ecken der
Umkleidekabine, er war zu fast allen freundlich, er lachte, wenn andere über den Trainer lästerten; und niemand außer Marco
Villa lernte ihn näher kennen.
Der Trainer hatte noch einigen Anlass für oberflächliche Heiterkeit geboten, als »wieder einmal der Friedel Rausch mit ihm
durchging«, wie Jörg Neblung die Temperamentsausbrüche nannte. »Wenn ich den Martin Schneider in seiner derzeitigen Form aufstelle,
fragen sich die Leute doch, ist der Rausch schwul, oder was?«, gab der Trainer auf einer Pressekonferenz zum Besten. Spät
im November war Rausch dann entlassen worden. Aufsichtsratschef Michael Viehof sagte dazu: »Es muss diesmal mehr geschehen
als eine Trainerentlassung.« Also entließ der Verein auch noch seinen Manager Rolf Rüssmann.
In seinen ersten 22 Bundesligajahren war Borussia Mönchengladbach mit insgesamt drei Trainern ausgekommen. Robert Enke erlebte
1998, wie der Trainer zum vierten Mal in einem Jahr wechselte.
|72| In den Weihnachtsferien fuhr Robert mit Teresa zu ihrer Familie nach Bad Windsheim. Seinen Vater schmerzte es. War der Sohn
lieber bei den Schwiegereltern als bei ihm? Er traute sich nicht, Robert darauf anzusprechen.
Dem Vater waren Familienfeste sehr wichtig, Weihnachten, Geburtstage, an Festtagen forderte er das
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