Robert Enke
warm war etwas anderes, aber die Heizöfen in Sassoeiros
verschafften ihnen mit ein bisschen Phantasie das Gefühl, es sei im Haus recht angenehm. Als sie von Roberts Mannschaftskollegen
Paulo Madeira zum Abendessen eingeladen wurden, fühlten sie sich gleich besser: Auch andere in Lissabon froren in schlecht
isolierten Häusern.
|116| In der Umkleidekabine hatte Robert Enke eine kleine Gruppe von Arbeitsfreunden gefunden, neben Madeira und Moreira gehörten
Pierre van Hooijdonk und Fernando Meira dazu. »Das blieb mir von Robert im Gedächtnis«, sagt Moreira: »Er sagte zu allen Spielern
freundlich
Bom dia!
, aber wirklichen Kontakt hielt er immer nur zu einer kleinen Gruppe, selbst als er Mannschaftskapitän wurde.«
Benfica verlor weiter den Vergleich mit der eigenen Vergangenheit. Sechster in Portugal wurde die Elf in Robert Enkes zweitem
Jahr bloß. Die beliebigen Auftritte der Mannschaft ließen die Rettungstaten des Torwarts nur herausragender erscheinen. »Obwohl
ich sehr oft dort war, sind mir vom Fußball in Lissabon gar keine Momente in Erinnerung geblieben«, sagt Jörg Neblung, »es
ist komisch – oder vielleicht auch nicht. Der Fußball lief, aber das wirklich Schöne war das Leben in Lissabon.«
Zitronenbäume standen im Garten in Sassoeiros. Eine Zitrone lag am Boden, Jörg und Robert begannen spontan, barfuß Fußball
zu spielen, bis die Partie abgebrochen werden musste, weil die Zitrone auf Jörgs großem Zeh stecken blieb. Jörg weigerte sich
jeden Morgen, aus der Dusche zu kommen, »die schönste Dusche der Welt mit einem riesigen Duschkopf, als ob du unter einer
warmen, herrlichen Wolke stündest«. Wo gehen wir hin?, fragte Robert nachmittags. Lass uns mal bei Marc vorbeischauen. Und
sie gingen zu einem Freund in dessen Plattenladen, hörten Musik, standen zusammen, bis es Abend wurde. Komm, wir gehen noch
ins
Blues Café
. Sonntags vor dem Spiel flog der Benfica-Adler durch das Stadion des Lichts, und 60 000 Zuschauer applaudierten frenetisch. An Silvester kam Roberts Mutter zu Besuch. Sie feierten im
Montemar
in Cascais, unter den breiten Restaurantfenstern vermischte sich das Blau des Atlantiks mit dem Schwarz der Nacht. Die Gäste
trugen Anzüge von Prada, Kleider von Gucci und redeten gedämpft; die Mutter startete nach Mitternacht eine Polonaise, um das
neue Jahr zu begrüßen. Teresa stieg als Erste ein, und in wenigen Minuten schleppten die beiden die halbe piekfeine Gästeschar
durch das Restaurant.
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Die portugiesischen Jahre: Robert Enke mit Walter Junghans (ganz links) und Pierre van Hooijdonk (ganz rechts). [13]
»Komm, mach mit!«, rief die Mutter Robert zu, der weiter auf seinem Stuhl saß.
»Mutter, bitte.«
»Was denn, mich kennt doch hier keiner.«
»Mich aber leider schon!«
»Das waren die kleinen Momente, die ganz groß waren«, sagt Jörg Neblung. »Eine Zeit, von der man sagt: die schönste meines
Lebens.«
Einmal bat Benfica sein Torwartidol, ein Krankenhaus zu besuchen. Teresa begleitete ihn. Er sollte Kinder auf der Krebsstation
aufmuntern. Als er zur Tür hereinkam, wendete sich ein Junge abrupt von ihm ab. »Er ist ein großer Benfica-Fan«, flüsterte
die Krankenschwester Robert zu.
Robert Enke versuchte mit dem Jungen zu sprechen, einmal, zweimal, dreimal. Endlich entlockte er ihm eine Antwort. Aber hartnäckig
blickte der Junge weiter die Wand an. Er ertrug es nicht, dass sein Idol ihn ohne Haare, leidend, krank sah.
Nach dem Besuch fuhren Teresa und Robert Enke zum Strand, |118| um dort spazieren zu gehen. Die Anspannung fiel nur langsam von ihnen ab. Schließlich brachen sie ihr Schweigen.
»Die armen Kinder«, sagte Teresa.
»Und die Eltern«, sagte Robert.
Der Gedanke kam ihnen praktisch gleichzeitig.
»Was haben wir dagegen für ein Glück im Leben.«
|119| SIEBEN
Immer höher, immer weiter
Auf einem Schmierzettel unterschrieb er einen Vertrag mit Teresa.
»Hiermit erkläre ich, Robert Enke, dass ich nicht mehr
La Ola
schauen werde, außer wenn a) Teresa nicht da ist, b) Teresa schläft oder c) sie es mir ausdrücklich erlaubt.«
Mit dem Abkommen versuchten sie auf humorvolle Weise zu entschärfen, was im dritten Jahr in Lissabon ein Konflikt zu werden
drohte. Er schaute wieder exzessiv viel Fußball, sogar montags
La Ola
mit Spielberichten aus der italienischen oder griechischen Liga.
»Ich habe nie gewusst, dass er sich Fußballspiele auch ansah, um als Torwart zu lernen. Ich habe auch
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