Robert Enke
nicht darüber nachgedacht:
Hilft ihm das Fußballschauen, um nicht an das eigene Spiel zu denken?«, sagt Teresa. »Ich war einfach nur gereizt, weil er
plötzlich weniger Lust hatte, Ausflüge zu machen oder nach dem Abendessen noch zusammen am Küchentisch zu sitzen.«
Am Ende der Saison, im Juni 2002, würde sein Vertrag mit Benfica auslaufen. Robert Enke grübelte, zu welchem Verein er weiterziehen
sollte. In Lissabon zu bleiben, wo er glücklich war, schien keine Option. »Es war Zeit für den nächsten Schritt«, sagt Jörg
Neblung.
Manchester United, die Supermacht des globalisierten Fußballs, wollte Robert Enke bereits im Sommer 2001 verpflichten. Uniteds
Trainer Alex Ferguson rief ihn persönlich an und gab sich Mühe, trotz seines unzähmbaren schottischen Akzents verständlich
zu klingen. Benfica signalisierte Robert Enke, dass es dem Verein nicht ungelegen käme, würde er Lissabon verlassen. Bargeld,
wie es Uniteds Ablöseangebot von rund zehn Millionen |120| Mark garantierte, benötigte man dringender als ein Torwartidol.
Robert Enke sagte Ferguson ab.
»Ja, einige Spieler lehnen tatsächlich ein Angebot von Manchester United ab!«, sagt Ferguson. Zehn bis fünfzehn Spiele sollte
Robert Enke in seinem ersten Jahr in Manchester als Ersatztorwart des französischen Weltmeisters Fabien Barthez absolvieren,
diese Einsätze garantiere er ihm, warb Ferguson, »und in zwei, drei Jahren hätte Enke dann Barthez als unsere Nummer eins
abgelöst. Das war mein Plan.«
Robert Enke wollte niemals wieder und nirgendwo Ersatztorhüter sein.
»Kopfgesteuert« nannte ihn sein ehemaliger Trainer Jupp Heynckes.
Ein Dreivierteljahr nach dem Telefonat mit Ferguson, im
La Villa
, einem portugiesischen Strandrestaurant mit japanischer Küche und Blick auf das Meer von Estoril, sagte Robert Enke: »Vielleicht
habe ich vor dieser Saison einen Fehler gemacht.« Er ließ den Satz im Raum stehen wie ein Geschichtenerzähler, der die Atemlosigkeit
seines Publikums genießt. Das abgelehnte Angebot aus Manchester meine er, erklärte er schließlich. »Wenn ich sehe, dass Barthez
nun in Manchester nicht gerade glücklich spielt …« Er beendete den Satz nicht. Im nächsten Moment schien er schon nicht mehr
zu Teresa und mir, sondern zu sich selbst zu sprechen. »Vorbei ist vorbei. Die richtige Entscheidung, wohin ich gehe, muss
ich jetzt treffen.«
Es war der Tag, als wir uns kennenlernten.
Er sprintete durch die Empfangshalle des Estádio da Luz auf mich zu, noch im weinroten Trainingssweater Benficas, er schüttelte
mir die Hand, ich dachte noch, so stürmisch kommen Fußballprofis selten zum Interview, da rannte er schon an mir vorbei aus
dem Stadion hinaus. »Unglaublich«, rief er mir noch zu, »die haben meinen Scheck einem anderen Spieler gegeben! Ich komme
sofort, aber ich muss erst mal sehen, dass ich mein Geld wiederkriege.« Zwei Stunden später bei Sushi und grünem Tee im
La Villa
hatte er sein Gehalt zwar noch nicht zurückerobert, aber er konnte schon wieder über diesen Irrtum lachen. |121| Ein Mitarbeiter von Benficas Geschäftsstelle hatte nicht so genau hingesehen und Robert Enkes Scheck dem erstbesten Blonden
in die Hand gedrückt; dem schwedischen Mittelfeldspieler Anders Andersson. Der hatte den Briefumschlag eingesteckt und war
nach Hause gefahren. »Ist ja schön, dass mich hier mal einer nicht erkennt«, sagte Robert Enke, »aber muss es gerade der Mann
von der Geschäftsstelle sein, der die Schecks austeilt?«
Er machte bei unserem ersten Treffen den Eindruck eines 24-jährigen Mannes, der die Dinge reflektiert betrachtete und völlig
frei von Zynismus war, der sich in der fremden Stadt heimisch fühlte und genau zu wissen glaubte, was ein glückliches Leben
war. Das stärkste Bild, das mir von ihm blieb, war jedoch das eines Profisportlers, der vom Gedanken beseelt ist, er müsse
weiter, höher hinaus.
Nach dem Mittagessen im
La Villa
waren wir am Strand spazieren gegangen. Wir redeten gegen den Wind an.
»Es hat sich gelohnt, zu Benfica zu wechseln. In meinem jungen Alter drei Jahre lang Stammtorwart bei so einem großen Klub
zu sein, wer bekommt diese Chance schon? Aber jetzt reicht es hier auch.«
Wieso?
»Ich bin jetzt zweieinhalb Jahre hier und schon der Dienstälteste; ich hatte so viele Mitspieler, dass ich mich gar nicht
mehr an alle erinnern kann, so oft wechseln die hier. So entsteht keine Siegerelf. Dieses Jahr bin ich sogar
Weitere Kostenlose Bücher