Robert Enke
Mannschaftskapitän,
das ist natürlich toll. Aber wenn du ehrlich bist, musst du dir auch sagen: Ein Ausländer mit 24 Kapitän, das zeigt doch nur,
dass sie alle anderen Führungsspieler verkauft haben – das zeigt doch nur, dass etwas in diesem Verein nicht stimmt.«
Den Eindruck könnte man bekommen, wenn man sieht, wie der Verein mit den Gehaltsschecks umgeht.
»Wenn du auf dem Rückflug einen kleinen Schweden mit schwarzer Sonnenbrille und großem Koffer siehst, halt ihn auf: Das ist
Anders Andersson, wie er mein Geld außer Landes schafft.«
Ein Spaziergänger stellte sich uns in den Weg. Im ersten Moment sah er wie ein Exhibitionist aus mit seinem weiten |122| Mantel und den wild in der Luft rudernden Armen. Dann wurde klar, er wollte nur den Torwart Benficas bei einer Parade imitieren.
Ich lachte. Robert Enke schaute angestrengt an ihm vorbei.
»Ich habe hier einen Torwarttrainer, der macht mich verrückt. Bei seinem Training habe ich Mühe, meine Form zu halten.«
Erst dachte ich, wie kommt er jetzt auf dieses Thema. Dann erzählte Robert Enke von Samir Shaker, seinem neuen Torwarttrainer
bei Benfica, und ich verstand: Der zappelnde Fan im weiten Mantel am Strand hatte ihn an Shaker erinnert.
Die Torhüter bei Benfica hatten geglaubt, ihr bisheriger Mentor Walter Junghans habe alles, was ein Torwarttrainer braucht,
und noch ein bisschen mehr. »Einmal schoss er einen Plastiksitz auf der Tribüne hinter dem Tor kaputt«, sagt Moreira. »Er
hatte den härtesten Schuss unter allen Torwarttrainern meiner Karriere.« Doch Junghans war nach zwei Jahren auf die spezielle
Benfica-Art zum Gehen überredet worden. Das Gehalt war plötzlich deutlich geringer als verabredet.
Dies sei ihr neuer Torwarttrainer, stellte ihnen kurz darauf der Trainer einen weißhaarigen, strahlenden Mann vor. Samir Shaker
kam aus dem Irak. Wie er nach Portugal gekommen war, wusste niemand; wie er bei Nacional Funchal in der Ersten Liga eine Karriere
als Torwarttrainer hatte beginnen können, war nicht leichter zu verstehen. Fragen konnten ihn die Torhüter nicht. »Samir sprach
kein Englisch und ungefähr drei Worte Portugiesisch«, schätzt Moreira:
»Amigo, bola, vamos!«
Freund, Ball, auf geht’s!
»Er war ein ganz lieber, sympathischer Mann«, sagt Moreira.
Auf geht’s, Freunde, rief Samir Shaker und machte Robert Enke die Aufwärmübung vor. Er schlug Purzelbäume.
Purzelbäume!
Freunde, rief Samir Shaker und zeigte ihnen die nächste Übung: Der eine Torwart sollte sich breitbeinig mit gebeugtem Rücken
hinstellen, der andere Torwart würde Anlauf nehmen und ein Rad über den Rücken des Kollegen schlagen, auf geht’s!
»Moreira, sag mir, dass das alles nicht wahr ist.« Moreira |123| lachte und zuckte mit den Schultern. Robert Enke lächelte unschuldig den Torwarttrainer an und bedeutete ihm mit Gesten, Rückenschmerzen,
diese Übung kann ich leider, leider nicht machen.
Im nächsten Training band Samir Shaker die Torhüter mit elastischen Bändern an den Torpfosten fest. Sie sollten gegen den
Widerstand des Gummibandes ansprinten.
»Samir, das ist gefährlich, wenn wir die Übung beenden, schleudert es uns mit voller Wucht zurück, gegen den Torpfosten.«
Beim nächsten Mal band Samir Shaker Schaumstoffmatten um die Pfosten.
Vor dem Spiel gegen Maritimo auf Madeira stellte er einen Eimer mit Wasser neben sich auf den Trainingsplatz und tauchte vor
jedem Torschuss den Ball hinein.
»Was soll das jetzt wieder?«
Chuva
, sagte Shaker. Regen. Auf Madeira regne es viel, darauf bereite er sie vor.
Aha, sagte Robert Enke. »Und wäre es dann nicht besser, wenn du gleich den ganzen Strafraum unter Wasser setzt?«
Samir Shaker lächelte. Er hatte Robert nicht verstanden.
Samstagabends tagten Robert Enke und José Moreira wie gewohnt im Hotelbett.
»Ich kann das nicht glauben, das ist ein lieber Kerl, aber das ist kein Torwarttrainer. Der Verein muss ihn entlassen.«
»Robert, ich sehe es positiv: Wir können etwas Neues von ihm lernen.«
»Ich arbeite aber nicht im Zirkus.«
»Erst hatten wir die deutsche Torwartschule mit Walter und jetzt die irakische mit Samir.«
»Und hast du schon einmal einen guten irakischen Torhüter gesehen?«
Moreira kannte Robert Enke seit über zwei Jahren als hochprofessionellen Sportler, aber auch als herzlichen, ausgeglichenen
Menschen. Er konnte sich nicht vorstellen, dass ihn die schrullige Methodik des Torwarttrainers wirklich belastete. Als
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