Robert Enke
Sportdirektor. »Das konnte alles heißen oder nichts«,
sagt Jörg Neblung.
In den kommenden Wochen erhielt er regelmäßig Anrufe von Vermittlern, die alle von wirklich ganz außerordentlichen Kontakten
zu Barças Sportdirektor und Präsidium erzählten. Es existiert im Profifußball ein Heer von Zwischenhändlern, die keinen einzigen
Spieler repräsentieren, aber den Vereinen alle möglichen Spieler anbieten. Sie prüfen, welcher Klub etwa einen neuen Torwart
suchen könnte, rufen dann jede Menge Torhüter an, behaupten, sie könnten ihn dort unterbringen, und im besten |133| Fall sind sie plötzlich als Verbindungsmann im Geschäft. Nur von Barça hörte Jörg Neblung nichts mehr.
In Portugal ging die Saison zu Ende. Teresa und Robert Enke hatten den Mietvertrag in Sassoeiros gekündigt und wussten nicht,
wohin es gehen würde.
In den Zeitungen stand, der FC Barcelona wolle einen neuen Torwart verpflichten, den Franzosen Ulrich Ramé von Girondins Bordeaux.
Robert reiste mit Jörg nach Vitoria, um sich den dortigen Sportklub Alavés anzusehen. Der Verein war wie die nordspanische
Stadt: reizend, aber klein. Vielleicht wechselte er doch lieber nach Porto?
In Lissabon gingen Teresa und Robert mit einer Videokamera auf die letzte Fahrt. Sie fuhren alle Orte ab, die ihnen so viel
bedeuteten, den Strand von Estoril, das
La Villa
, Marcs Plattenladen, den Pinienpark Monsanto. Sie stellten sich an jeden Ort und winkten, lächelten, riefen: »Adeus Lisboa!«
Der Abschied fiel ihnen nicht schwer. Nach der schönen Zeit in Lissabon glaubten sie einfach, es würde ihnen überall gut ergehen.
Im Sommer zuvor waren sie mit dem Auto in den Urlaub gefahren. 3000 Kilometer, zwei Tage unterwegs nach Deutschland. Sie wussten
nicht, wie sie sonst die Hunde hätten transportieren sollen. Diesmal ließen sie die Hunde bei Marc in Lissabon und nahmen
das Flugzeug nach Frankfurt. Sie würden doch nur kurz im Urlaub sein und danach wo auch immer.
Jörg Neblung flog zu einem Fotoshooting von Heike Drechsler nach Mallorca. Von dort wollte er zu Vertragsgesprächen mit Espanyol
Barcelona nach Katalonien kommen.
Der 28. Mai wäre ideal.
Ein, zwei Tage davor wurde Jörg Neblung erneut aus Barcelona angerufen.
Barças Sportdirektor Anton Parera wünschte ihn zu sehen.
Am 28. Mai, auf dem Weg zu Verhandlungen mit dem FC Barcelona, wurde Jörg Neblung bewusst, dass er mit einem Flugticket reiste,
das ihm Barças Stadtrivale Espanyol bezahlt hatte.
|134| ACHT
Füße
In Barcelona kann man 300 Meter vor dem Camp Nou stehen und sieht das Stadion nicht. Mitten in der Stadt gelegen, von Wohnblocks
verdeckt, lässt sich seine Größe von außen nicht erahnen. Sitzt man im Stadion, ergreift einen die Pracht des Camp Nou überfallartig.
Oval und gigantisch, ist es mehr Kolosseum als Fußballarena. Die Tribünen steigen so hoch auf, dass sie eins werden mit dem
Himmel. Wenn 100 000 Zuschauer das Camp Nou füllen, sieht man von hoch oben die menschliche Zerbrechlichkeit. Klein und schutzlos wirken die
Fußballer tief unter einem. Sitzt man alleine im leeren Stadion, lässt der Klang der Stille all die Schlachten lebendig werden,
die man nie sah, die man sich plötzlich ganz genau vorstellen kann, Kubala am Flügel, Zubizarreta in der Luft, Goikoetxea
am Boden, in schwarzer Rache mit einem Foul niedergestreckt vom Engel Schuster, unter der dröhnenden Zustimmung der Hunderttausend,
ihre Fäuste in der Luft.
In der Welt des Fußballs ist das Camp Nou der Hort des Schönen, Guten, Wahren. Die Welt um Barcelona herum hatte das
juego bonito
, das schöne Spiel, nach Brasiliens herzzerreißendem Scheitern bei der Weltmeisterschaft 1982 definitiv für gescheitert erklärt,
der Realpolitik-Fußball dominierte, defensiv kompakt stehen und dann blitzschnell auf Angriff umschalten. Nur bei Barça verweigerten
sie sich dieser Realität. Fundamentalisten der Anmut, bestanden sie darauf, immer weiter, immer mutig im betörenden Kurzpassspiel
anzugreifen.
Die Leute haben ihre Theorien, warum Barça sich kompromisslos der Schönheit verschrieb. Weil der ewige Rivale Real Madrid
stets mehr gewann, sagen sie, und Barça so den Trost |135| suchte, ja, aber wir spielen schöner! Oder weil die Katalanen mit dem Stil ausdrücken wollten, dass sie anders, eigenständig
seien. Die Wahrheit ist banaler. Der FC Barcelona erfuhr mit seinem Perpetuum mobile des Passspiels zum ersten Mal höchsten
Erfolg. 1992
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