Robert Enke
dauerte nur zwei Minuten. Kein besonderer Spielzug stand an der Tafel, es gab keinen speziellen Tipp wie: Rochemback geht
immer rechts vorbei, zwingt ihn auf den linken Fuß. Teixido wusste, seine Spieler waren bereits übermotiviert. Jedes weitere
Wort hätte sie nur gestresst.
Robert Enke hetzte blind über den Basketballplatz in die Umkleidekabine. Über dem Haupteingang des Sportplatzes hing die spanische
Fahne, alt und ausgefranst. Kinder trugen die blitzenden Metallkoffer mit Barças Ausrüstung zwischen der Turnhalle und der
Umkleidekabine hin und her. In der Kabine selbst war nicht genug Platz für die Koffer. »Ich musste immer wieder daran denken,
wie die Barça-Spieler wohl in der Kabine sitzen würden«, sagt Aurelio Boghino, Noveldas Ersatztorwart. »Es ist mehr ein Schacht
als ein Raum, mit nur einem winzigen Fenster, super eng, die Decke tief, in den Wänden der Schweiß der Jahre.«
Robert Enke registrierte, dass der Trainer die Taktik ausgab. Er versuchte zuzuhören. Van Gaals dröhnende Stimme erzählte
von im Angriff pressen, den Ball sofort zurückerobern, aggressiv |157| sein, den Ball erst im letzten Drittel in den Rücken der Abwehr passen. Ein guter Trainer bereitete jedes Spiel, auch das
banalste, so sorgfältig und detailliert vor wie ein Champions-League-Finale, fand Louis van Gaal, der auch fand, er sei einer
der besten Trainer.
Robert Enke musste heute unbedingt acht, neun Meter vor seinem Tor stehen, wenn Novelda im Mittelfeld den Ball eroberte. Er
durfte sich dann nicht zurückziehen, Novelda würde sofort einen langen Pass schlagen, dann musste er rauskommen wie van der
Sar, den Steilpass abfangen, selbst wenn es außerhalb des Strafraums war, verdammt, jetzt dachte er auch schon genau so, wie
die Trainer redeten, Scheiß van der Sar.
Die Zuschauer klatschten, als wäre ein Tor gefallen. Die Mannschaft des FC Novelda war zum Aufwärmen aus dem Kabinentunnel
gekommen. »Da sahen wir
sie
zum ersten Mal«, sagt Madrigal, der am Morgen mit den zwei Kollegen aus der Wohngemeinschaft stundenlang gefachsimpelt, geträumt
hatte, welche Elf Barça wohl aufbieten würde. »Es war unmöglich, sich beim Aufwärmen zu konzentrieren«, sagt Madrigal. Aus
den Augenwinkeln sahen sie unentwegt die Blitzlichter der Pocketkameras auf den Tribünen. Sie machten ein paar Sprints und
dehnten die Muskeln lange an den Werbebanden. In dieser Haltung konnten sie die Barça-Spieler gut beobachten.
Frans Hoek wärmte Robert Enke auf. »Solche Cupspiele sind die schwierigsten für einen Ersatztorwart«, sagt Hoek. »Du hast
nicht den Rhythmus und sollst dich in diesem einen Spiel beweisen. Da stehst du unter extremem Druck.«
»Du kommst aus einem fremden Land und sollst in einem uneingespielten Team voller Ersatzleute auf einem Drecksplatz spielen«,
sagt Victor Valdés. »Mann, da hast du Zweifel, ein schlechtes Gefühl!«
»Man merkt es, wenn ein Torwart unter zu viel Druck steht«, sagt Bonano.
Im Kabinentunnel nahmen die Mannschaften Aufstellung. Der Gang war so eng, dass die beiden Teams kaum nebeneinander Platz
fanden, Toni Madrigal und Robert Enke hätten sich |158| berühren können. Aber sie werden nie im Leben ein Wort miteinander reden. Ganz nah beieinander, standen sie isoliert in ihrer
eigenen Welt, weit entfernt voneinander durch ihre Gedanken.
»Ich sah den Schiedsrichter, der sonst in der Primera División pfeift, ich sah die Barça-Elf, Riquelme, Frank de Boer, Xavi«,
sagt Madrigal. »Ich hatte das Gefühl: Jetzt spielst du Erste Liga.«
Von Robert Enke gibt es Bilder, wie er mit seiner Elf vor dem Anpfiff, schon auf dem Rasen, für die Fotografen posierte. Es
war kurz vor halb acht am Abend, aber noch taghell, er stand in der zweiten Reihe ganz links, Thiago Motta neben ihm streckte
die Brust raus und legte den Arm kräftig um ihn. Roberts linke Schulter und der Arm hingen schlaff herunter, er hatte den
Mund geöffnet und die Augen geweitet. Die Angst blieb für immer eingefroren auf den Fotos.
Es war der 11. September 2002, das Datum vergisst man nicht, ein Jahr nach den New Yorker Terroranschlägen, am katalanischen
Nationalfeiertag.
Auf den kleinen Tribünen des Sportplatzes, an vielen Stellen nur drei grüne Stuhlreihen hoch, saßen die Eltern, der Bruder
und ein Onkel von Madrigal.
Teresa saß alleine zu Hause in Sant Cugat vor dem Fernseher. Statt des Kommentators hörte sie Robbis Stimme, die zunehmende
Verzweiflung
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