Robert Enke
»Ich war einfach glücklich.«
Drei Minuten später glich Riquelme mit einem Strafstoß wieder aus.
Der Kleine hatte bravourös gekämpft, das Gefühl einer nahenden Sensation hatte das Publikum gepackt und geschüttelt – aber
nun würde das große Barça, der 24-malige Königspokalgewinner, mit zwei, drei Strichen eiskalt die Hoffnung wegwischen.
|163| Natürlich hatte er diese Befürchtung, sagt Madrigal. Doch etwas verwunderte ihn.
»Der Ausgleich zum 2:2 beruhigte Barça nicht. Sie redeten jetzt miteinander, aber sehr negativ. De Boer war außer sich, er
schrie alle an, auch Robert. Es klingt unelegant, wenn ich als Drittligaspieler das sage, aber die Wahrheit ist, dass ihre
Abwehr enorme Fehler beging. Reiziger: Er packte mich beim 1:1 nicht am Arm, er benutzte nie seinen Körper, um dagegenzuhalten«,
für einen Moment wirkt Madrigal aufrichtig ratlos: »Ich weiß nicht, ob ich in der Dritten Liga einfach mehr Gewalt gewohnt
bin, aber ihr geringer Widerstand war merkwürdig.«
Das Spiel war längst aus den Fugen geraten, die Herzen, nicht die Gehirne zweier Mannschaften trieben es hin und her, und
das Tempo ließ Robert Enke in seinem Tor zurück. Er fühlte sich langsam.
Ein Torwart, der sich selbst an einem Tor eine Mitschuld gibt, erlebt die restlichen Spielminuten in einer unerträglichen
Mischung aus Gleichgültigkeit und Panik. Er hat schon abgeschlossen mit diesem Abend, der für ihn nicht mehr zu retten ist,
egal, wie das Spiel ausgeht. Gleichzeitig will er alles wiedergutmachen und fürchtet sich, dass er bei der nächsten Probe
alles noch schlimmer machen wird.
Im Mittelfeld, halblinks, fiel Noveldas Kapitän Cudi ein abgeprallter Pass vor die Füße, und Madrigal wusste genau, was passieren
würde. Cudi flankte immer auf die Höhe des hinteren Torpfostens. Madrigal rannte mit einem diagonalen Sprint auf den Pfosten
zu, um genug Schwung für den Kopfball zu haben. Robert Enke sah aus den Augenwinkeln, dass de Boer Madrigal bewachte.
Die Flanke hatte nichts Raffiniertes, der Ball flog ohne besondere Drehung Richtung Fünfmeterlinie, er musste raus, die Flanke
war doch eine leichte Beute für einen Torwart wie ihn.
Torhüter, die Angst haben, erkennt man bei Flanken. Sie zögern immer einen Moment zu lang. Robert Enke machte nicht einmal
einen Schritt nach vorne. De Boer sprang nicht hoch, er blieb einfach stehen, er wird selbst nie wissen, warum, es ging zu
schnell; vielleicht hatte auch er Angst vor dem Fehler, vielleicht |164| wollte er Platz für Enke machen, er war gewohnt, dass der Torwart herauskam; er hatte bei Ajax Amsterdam jahrelang mit Edwin
van der Sar gespielt.
Madrigal fühlte sich auf einmal so ruhig. Er nahm sich Zeit für ein smartes Manöver. Er köpfte den Ball nicht auf das Tor.
Er drückte den Kopfball, sodass er direkt vor Enke auf dem Rasen aufsetzte und unberechenbar wurde. Madrigal sah den Ball
schon im Tornetz, als er noch auf dem Weg war.
Noveldas Ersatzbank donnerte, weil Zuschauer auf das Dach schlugen. Aurelio Boghino, der Ersatztorwart, 20 Jahre jung, bildete
einen Knäuel mit den anderen Auswechselspielern; die Arme noch erhoben, blieb sein Blick plötzlich an etwas hängen.
»De Boer stand noch im Strafraum. Er faltete Enke zusammen. So etwas hatte ich noch nie gesehen; so etwas macht ein Profi
nicht: einen Mitspieler auf dem Spielfeld erniedrigen. Robert Enke stand mit bleichem Gesicht da, Blick nach unten, und sagte
gar nichts.«
Es blieben noch zwölf Minuten, doch das Spiel hatte bereits sein Abschlussbild gefunden.
Für Robert Enke war der Weg vom Spielfeld am längsten. Hunderte Zuschauer waren bereits auf den Rasen gestürmt, sie lachten
und schrien, wir haben Barça geschlagen, als könnten sie es glauben, wenn sie es sich nur oft genug ins Gesicht brüllten,
wir haben Barça geschlagen! Sie umkreisten Robert Enke, sie fragten ihn nach Autogrammen, nach seinen Handschuhen, sie strahlten
ihn an. »Die Leute sind oft schlecht erzogen«, sagt Madrigal, »sie verstanden nicht, was diese Niederlage für Barças Spieler
wie Robert bedeutete.« Die Lautsprecher schepperten. Der Stadionsprecher hatte unmittelbar nach dem Schlusspfiff die Erkennungsmelodie
der Champions League aufgelegt. Robert Enke kämpfte sich durch die Menge, ohne sie bewusst wahrzunehmen. Er gab Noveldas Torwart
sein Trikot, ohne die Bewegungen zu spüren, als er es vom Leib streifte. Er rief, wie immer, sofort aus der
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