Robert Enke
Realität des
Fußballs stellt.«
Esto no! ,
war Hoeks Schlachtruf. Victor Valdés imitiert den Torwarttrainer mit dessen niederländischem Akzent und der lauten Stimme:
Esto nooo! ,
brüllte er ständig.
Das nicht!
Hoek gilt bis heute als einer der kompetentesten und innovativsten Torwarttrainer, und in seiner Schule kommt es offensichtlich
nicht vor zu fühlen, ob einer seiner Torhüter leidet. »Ich habe Enke und Bonano manchmal gesagt: ›Ihr seid zu lieb‹«, sagt
Hoek. »Fußball ist eine harte Welt. Da musst du als Spieler in manchen Situationen brutal sein. Victor war der Einzige, der
ein wenig
mala leche
hatte, wie man in Spanien sagt: schlechte Milch in den Venen. Ein wenig von der Oliver-Kahn-Mentalität, würde man wohl in
Deutschland sagen. Ich hätte mir mehr Rivalität zwischen den dreien gewünscht.«
Robert Enke sehnte sich nach Verständnis, und Hoek schrie
Esto no!
Robert Enke nahm es persönlich: Hoek mochte ihn nicht, Hoek behandelte ihn unfair – Hoek war ihm gram, weil er in Novelda
versagt hatte.
Dass Hoek zu den anderen zwei Torhütern ebenfalls grausam ehrlich war, nahm Robert Enke nicht mehr wahr. »Mich hat Hoek auch
oft fertiggemacht, da kannst du dir sicher sein«, sagt Bonano im Rückblick.
Frans Hoek lebt bis heute in der Überzeugung, dass er ein hochprofessionelles Verhältnis zu Robert Enke hatte, mit ein paar
angespannten Momenten natürlich, aber das sei doch nie persönlich gemeint gewesen.
Robert Enke rief aus Barcelona oft Walter Junghans an.
Jörg, Teresa, der Vater oder Marco schimpften über Hoek, sie zeterten über van Gaal, der wohl im Training nicht richtig hinsehe.
Für einen kurzen Augenblick tat die Wut der Freunde gut. Aber die Wahrheit, wie er sie sah, kehrte zu schnell zurück. Er,
nur er alleine, war schuld. Er hatte in Novelda versagt. Er hatte es vermasselt, unverrückbar, da war er sich sicher.
|178| So wie Teresa regelmäßig ein paar Stichworte in ihren Taschenkalender schrieb, notierte er unvermittelt, ohne Erklärung, einmal
ein Zitat in seinem Terminbüchlein. »Es spielt keine Rolle, ob das, woran du glaubst, zutrifft. Entscheidend ist, ob es dir
hilft.«
Warum konnte er sich nicht die Realität zurechtbiegen, damit sie für ihn erfreulicher aussah? Er sah Victor Valdés, der Fehler
gemacht hatte, gegen Atlético, Betis, Osasuna. Aber Victor blieb so cool, er hatte ein Gesicht wie eine Maske, nichts schien
ihn zu erschüttern. Warum konnte er nicht so sein?
»In Brügge spielst du«, sagte ihm der Torwarttrainer auf einmal.
Sie hatten sich bereits nach vier von sechs Champions-League-Vorrundenspielen für die nächste Runde qualifiziert, von daher
war die fünfte Partie am 29. Oktober 2002 beim belgischen Meister bedeutungslos.
Da hast du nichts zu verlieren.
Er versuchte, fest daran zu glauben.
Wenige Stunden vor dem Anpfiff rief er wie üblich Teresa an. »Du hättest unser Gespräch an Spieltagen einmal auf Kassette
aufnehmen und es danach einfach abspulen können – es war immer gleich«, sagt sie.
Wie geht es, wir waren spazieren, jetzt trinken wir Kaffee, alles klar, okay, wir sehen uns heute Nacht.
Diesmal aber sagte er: »Bitte wünsch mir Glück.«
Sie fuhr innerlich zusammen.
Er hatte ihr nie erlaubt, ihm Glück zu wünschen. Es bringe nur Unglück.
Nie hatte sie deutlicher gespürt, wie sehr ihn die Versagensängste quälten. Und sie konnte nicht mehr für ihn tun, als diese
paar Worte zu sagen, die sie zudem nun kaum noch herausbekam. »Ich wünsche dir ganz viel Glück«, sie glaubte, sie spreche
die Worte nicht, sondern spucke sie aus.
»Danach war mir schlecht.«
Der FC Barcelona trug in Brügge Jogginghose und Trainingsjacke statt wie auf Europapokalfahrten üblich die Maßanzüge |179| von Grisby. Der Trainer hatte angesichts der Unwichtigkeit des Spiels sieben etablierte Spieler zu Hause gelassen und dafür
sechs Jungen aus dem B-Team mitgenommen, sie besaßen keine Klubanzüge. »Baby-Barça« tauften die Sportreporter das Team. »Es
wäre eine Schande, wenn wir gegen so eine Elf nicht gewinnen«, sagte Brügges Kapitän Gert Verheyen. Brügge kämpfte noch um
den Aufstieg in die nächste Runde. Novelda lag gut zwei Monate zurück, Robert Enke war seit sieben Wochen ohne Spielpraxis.
Das Jan-Breydel-Stadion ist die Schatztruhe des belgischen Fußballs, rechteckig, eng, das schönste Stadion des Landes, hier
lieferten sich Frankreich und Spanien bei der
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