Robert Enke
Europameisterschaft 2000 eines der größten Spiele des Jahrzehnts. Wenn die Tribünen
gefüllt sind, bedrängen sie das Spielfeld. Die Partie war ausverkauft. Die Zuschauer waren in Winterjacken und Schals gehüllt,
die meisten von Brügges Spielern trugen Trikots mit kurzen Ärmeln.
Das Spiel fand keine Richtung. Baby-Barça hatte den Ball, angeführt von einem 18-jährigen Debütanten mit der porzellanfarbenen
Haut eines Engels und einem himmlischen Gefühl für den Ball, wie hieß der, fragten sich die Zuschauer, Andrés Iniesta oder
so. Brügge arbeitete hochkonzentriert und emsig darauf hin, Barça keinen Spielraum zu geben. Der Ball fand kaum aus dem Mittelfeld
hinaus. Robert Enke hatte mehr als genug Zeit nachzudenken; sich zu erinnern. Das Spiel lief wie in Novelda.
Dann plötzlich, Profifußball ist reine Plötzlichkeit, konnte Brügges Sandy Martens das Tor sehen. Er war noch in gehöriger
Distanz zu Robert Enke, sicher über zwanzig Meter, aber näher würde Brügge so leicht nicht kommen, fühlte er und schoss. Robert
Enke flog. Er war unverwechselbar in seiner Art zu springen. Bevor er abhob, im Moment, wenn der Schütze mit dem Bein ausholte,
machte er immer einen kleinen Hopser auf der Stelle, mit weit ausholenden Armen, als ob er Schwung nehmen wollten, nach der
reinen Lehre war dies unsinnig, eine Übersprungshandlung, aber ihm half es, sich zu konzentrieren, den Körper anzuspannen,
bevor er ihn entlud. Er wehrte den vehementen Schuss von Martens ab und nach 58 Spielminuten auch |180| einen ähnlichen Versuch von Verheyen, platziert, ins Toreck. Wegen solcher Paraden erinnert sich das Publikum an Torhüter.
In einer Partie, die mehr dahinplätscherte als floss, brachte Riquelme, der zur Aushilfskraft herabgestufte Erlöser, Baby-Barça
0:1 in Führung. 25 Minuten blieben, 25 Minuten, in denen Robert Enke ständig zusammenfuhr, seine Konzentration auf eine höhere
Stufe sprang, weil Brügge plötzlich da war – doch dann brauchte er nie eingreifen, weil ein Abwehrbein noch dazwischen war.
Das Spiel war praktisch aus, ein Angriff noch, Brügge auf dem linken Flügel, ein feiner Doppelpass ließ zwei Verteidiger von
Baby-Barça auf einmal ins Leere laufen, Ristic am Ball, frei, 18 Meter vor dem Tor am Strafraumeck, er zog nach innen, er
konnte schießen und flankte lieber. Hoch, scharf, auf die Fünfmeterlinie zu, flog der Ball, der Torwart sollte herauskommen
und den Ball abfangen, aber vor ihm rannte eine Büffelherde von fünf Mann in die Flanke hinein, drei Feinde, zwei Freunde,
an ihrer Wucht konnte er beim Griff nach dem Flankenball nur abprallen. Robert Enke machte zwei Schritte nach vorne, dann
stoppte er auf halbem Weg. Martens gewann das Kopfballduell. Die Zuschauer hinter Enkes Tor sprangen mit erhobenen Armen in
die Luft, die Ersten, die Gedankenschnellsten, schrien Tor! Der Kopfball war hart, perfekt. Robert Enke lenkte ihn im letzten
Moment mit der linken Hand über die Latte. Die Zuschauer hielten die Hände an den Kopf und vergaßen, den Mund zu schließen.
»Riquelme entschied ein Spiel, in dem Iniesta und Enke brillierten«, stand am Morgen nach dem 1:0-Sieg auf der Titelseite
von
El Mundo Deportivo
.
Francisco Carrasco, genannt
Lobo
, der Wolf, Europapokalsieger von 1979 mit Barça und nun Spielanalyst von
Mundo Deportivo
, schrieb, »Enkes Auftritt war eine Nachricht an Louis van Gaal: Hier bin ich, wenn du mich brauchst«, und der Trainer, der
ständig bellte, offenbarte einen einfühlsamen Zug. Kein Mensch ist emotional eindimensional, auch van Gaal konnte verständnisvoll
sein; es war nur nicht immer so einfach zu erkennen. Er rede nie über einzelne Spieler in der Öffentlichkeit, sagte der Trainer
auf der Pressekonferenz, »aber ein Torwart |181| ist ein einsamer Spieler, deshalb verdient er es heute auch, allein erwähnt zu werden: Enke war sehr gut, am Ende rettete
er uns den Sieg.«
Robert Enke selbst, notierte Teresa in ihren Taschenkalender, wollte es »sich nicht mehr eingestehen, dass er ein super Spiel
gemacht hat«.
Das eine Spiel würde doch nichts ändern. Er würde weiterhin Ersatz bleiben, Bonano war jetzt die Nummer eins und spielte ordentlich.
Wenn ein Torwart einmal auf der Ersatzbank gelandet war, kam er von dort nur schwer wieder herunter, einen Torwart wechselte
man nicht einfach so. Drei Jahre zuvor hatte sein freundlicher Konkurrent Bossio bei Benfica nie mehr eine Chance erhalten,
nur
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