Robert Enke
jugendlicher Torwart, kam er damit nicht mehr zurecht, die dunkle Grübelei,
die Selbstvorwürfe gerieten außer Kontrolle, die Hirnfunktionen veränderten sich, er wurde anfällig für Depressionen?
Der Vater nickt, aber er ist in Gedanken schon weiter, woanders, vielleicht spricht er auch zu jemand anderem. »Ich denke:
Robert, das müsstest du doch eigentlich gemerkt haben, dass wir dich liebten, weil du da warst, und nicht, weil du ein guter
Torwart warst.«
Bilder tauchen auf, der Vater, der die Familie verlassen hat, der versucht, zu jedem Spiel des Sohnes zu kommen, um die Bindung
nicht zu verlieren. Der Sohn, der ängstlich sagt, Papa, du hast mich doch auch noch gerne, wenn ich mit dem Fußball aufhöre,
oder?
»Ich bin gerne bereit, kritisch darüber nachzudenken: Was haben wir falsch gemacht? Wir haben ihn natürlich im Sport unterstützt,
aber doch in keinster Weise wie so manche überehrgeizige Eltern da hineingetrieben. Ich bilde mir ein, auch immer vorsichtig
gefragt zu haben, nach dem Spiel: Was meinste, Robert, konntest du bei dem Tor was machen?«
Am liebsten wollte der Vater auch noch bei allen Spielen dabei sein, als der Sohn bereits Profi war. »Das habe ich jetzt auch
zu hören bekommen, dass dies ein Problem für Robert gewesen sei. Ich hätte so oft nach Eintrittskarten gefragt.«
Ohne eine Frage zu stellen, erwartet der Vater eine Antwort. War das wirklich ein Problem für ihn? Das heißt, natürlich bittet |221| er stumm: Sagen Sie mir, dass es kein Problem war. Es ist Zeit, ihm etwas anderes zu sagen: Wenn sich ein Mensch unter Depressionen
umbringt, trägt niemand anderes die Schuld daran.
Der Vater will den Motor anlassen, er beugt sich hinunter, als erfordere es seine gesamte Konzentration, den Zündschlüssel
umzudrehen.
Eines Mittags in Barcelona kam Robert Enke vom Geächtetentraining nach Hause. Eine ihrer Katzen starrte ihn vom Balkon aus
an. Er starrte zurück und sah nur sein eigenes Versagen. Er hatte morgens vergessen, ein Fenster zuzumachen. Nicht einmal
das schaffst du, schimpfte er sich.
»Wenn die Katze abgehauen ist«, sagte Teresa und unterdrückte die Ungeduld, »dann lass sie einfach wieder rein.«
Er starrte weiter zum Balkon.
Er hatte das Gefühl, man stelle ihn auf die Probe. Der Kühlschrank funktionierte nur noch im unteren Drittel. Der Fernseher
im Schlafzimmer streikte. Vier Tage später musste die Spülmaschine abgeholt werden. Wo er auch hinsah, warteten Prüfungen
auf ihn, Dinge, die erledigt werden mussten, die zu groß, zu viel für ihn waren. Er dachte den ganzen Tag an Kühlschränke,
Fernseher, Spülmaschinen, die repariert werden müssten, und schaffte es nicht, einen Techniker zu rufen.
Mit seinem Leben war es wie mit dem Kühlschrank. Er dachte den ganzen Tag daran, wie er es reparieren sollte, und konnte keine
Antworten finden, weil er sofort negative Konsequenzen sah: Sollte er ein paar Monate nach Deutschland in eine Klinik gehen?
Dann würde er Teresa verlieren, wenn er sie alleine ließ. Sollte er in Barcelona bleiben und weiterhin auf Doktor Geldschläger
und die Tabletten hoffen? Dann würde er Teresa verlieren, weil er ihr auf die Nerven ging. Sollte er anstreben, in der Wintertransferperiode
wieder bei einem Verein unterzukommen? Da würde er nur wieder versagen. Sollte er mit dem Fußball aufhören? Was sollte er
denn dann machen?
Nach dem Mittagessen werde ich immer müde, ich will nur noch ins Bett, aber sich einfach so hinlegen verschlimmert alles nur.
|222| Das war die Logik, die sein Gehirn, zu einem schwarzen Schacht reduziert, noch zuließ: Er hatte morgens keine Lust, irgendetwas
an diesem Tag zu machen, und hasste sich am Abend dafür, nichts zustande gebracht zu haben.
Als er eines Morgens zum Training fuhr, dachte er, niemand wartet auf dich, niemanden interessiert, was du machst. Da drehte
er einfach um. Gegen Mittag kam Teresa von ihrer Arbeit im Tierheim zurück. Die Rollläden an ihrem Haus waren heruntergelassen.
Er hatte sich im Bett vor der Welt verkrochen. »Raus«, sagte Teresa. »Robbi, aufstehen!« Sie hatte gelernt, dass Liegenbleiben
die größte Sehnsucht und gleichzeitig das Schlimmste für Depressive ist, sie wusste, es war richtig, ihn aus dem Bett zu scheuchen.
Und trotzdem war es unerträglich, ihn anzuschreien, ihn so zu behandeln.
Er setzte sich ins Wohnzimmer und sah alte Fotos an, von Lissabon, vom Glück. Er fand eines, auf dem Teresa,
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